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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jürgen Paust-Nondorf

Aktuelle Aufführungen

Stark aufgeholt

MAGNIFICAT/ORATORIO DE NOEL
(C. P. E. Bach, Camille Saint-Saëns)

Besuch am
26. November 2016
(Einmalige Aufführung)

 

 

Konzertchor Ratingen, Stadthalle

Schon Carl Philipp Emanuel Bach brachte es 1749 kein rechtes Glück: Das Magnificat, das er für seine Bewerbung auf die Stelle als Thomaskantor in Leipzig in der Nachfolge seines Vaters komponierte, fiel durch. Allerdings nicht wegen seiner Qualität, sondern weil es für die Stelle bereits einen politisch gewollten Bewerber gab. Fast 270 Jahre später geht abermals der Daumen nach unten. Nur ist diesmal nicht so ganz klar, woran es liegt.

Unter der Leitung von Thomas Gabrisch sind in der Stadthalle angetreten der Konzertchor Ratingen, die Sinfonietta Ratingen sowie vier Solisten. Eigentlich eine Konstellation, die sich bereits mit zahlreichen begeisternden Auftritten als Erfolgsmodell etabliert hat. Doch diesmal will sich kein rechter Genuss einstellen. Patzer im Orchester, ein eher dünnklingender Chor und über die männlichen Solistenstimmen möchte man sich gar nicht äußern. Der Tenor wirkt unmotiviert und fehl am Platz, der Bass tritt eher als lyrischer Bariton an. Das kann man abhaken – egal, ob es an den Leistungen der Aktiven auf der Bühne liegt oder am vielleicht doch eher marginalen Werk, dass selbst im außerordentlich sauber gesungenen Gloria keine Durchschlagskraft erzielen will.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Applaus fällt dann auch eher mau und höflich aus. Nach der Pause steht zudem ein Weihnachtsoratorium auf dem Programm, das in Deutschland so gut wie unbekannt ist. Der Name des Komponisten noch dazu schier unaussprechlich. Es ist wohl eher das gesellige Beisammensein im Pausenfoyer, das die Zuschauer daran hindert, vorzeitig zu gehen. Und kaum jemandem ist die 16-jährige Luisa aufgefallen, die im Chor mitgesungen hat. Ganz schick hat sie sich gemacht für diesen Abend. Aber auch wenn sie nicht so recht bei der Sache scheint, wie sie da ganz links in der ersten Reihe des Chors steht, freuen sich die Chor-Enthusiasten doch, dass sie den Altersdurchschnitt bei den Chorsängern massiv nach unten reißt. Vereinzelt versuchen Besucher, den Namen von Camille Saint-Saëns laut, aber vergeblich auszusprechen, dann geht es nach einer annehmbaren halbstündigen Pause auch schon weiter. Eine knappe Dreiviertelstunde noch, dann ist der Abend geschafft. Man wurde gesehen, hat Freunde getroffen, ansonsten: Strich drunter.

Luisa Gabrisch an der Harfe - Foto © Jürgen Paust-Nondorf

Luisa sitzt noch auf dem Hocker vor der Harfe, während Chor und Orchester eintreffen. Kann sie vielleicht noch nicht wissen, dass man so was als Choristin nicht macht. Fünf Solisten betreten die Bühne, Thomas Gabrisch tritt ans Pult. Nach einem wunderbaren Vorspiel, in dem die Sinfonietta zeigt, was sie bisher bewiesen hat, dass sie nämlich ganz hervorragend harmonieren kann – hier im doppelten Wortsinn – bricht die Stunde der Solisten an. Tenor Stefan Sbonnik trägt mit treffender Stimme vor, Elvira Bill glänzt mit ihrem Alt, Sopranistin Sabine Schneider begeistert, wie schon so oft, lediglich Bariton Tobias Scharfenberger bleibt hinter den Erwartungen an einen Bass zurück, fügt sich aber gut ins sängerische Geschehen. Und nach einem Zwischenruf des Chors, der jetzt wie auferstanden erscheint, setzt Valerie Eickhoff ihren Mezzosopran gekonnt in Szene.

Als Schneider und Scharfenberger zusammentreten, um ihr Duett zu beginnen, setzt sich Luisa Gabrisch zurecht und beginnt ihr erstes Harfensolo. Filigran unterstützt von Jürgen Kursawa an der Orgel, lässt sie hochkonzentriert und fehlerfrei die großartige Musik Saint-Saëns von den Saiten perlen. Auch bei ihrem zweiten Einsatz, noch komplexer, scheint mancher Zuschauer den Atem anzuhalten – was bei diesem Publikum, das streckenweise eher wie die Vollversammlung eines Lungensanatoriums wirkt, Angst macht – um keine Note zu verpassen, die die 16-jährige Tochter von Gabrisch und Schneider aus dem himmlischen Instrument zaubert. Brava!

Der Rest ist ebenfalls Genuss pur. Und da erheben sich die Zuschauer gern, um herzlich und langanhaltend zu applaudieren. Auch die Choristen sind beim Abgang hochzufrieden.

Drei Chor-Konzerte in gut zwei Wochen. Da drängt sich ein Vergleich auf. Ob der Max-Chor, der Projekt-Chor oder der Konzertchor Ratingen: Ihnen allen gemein ist, dass sie ehrenamtlich und hochengagiert arbeiten. Ihre Leistungen sind bewundernswert. Denn letztlich darf man eines nicht vergessen: Ihr Gesang ist Freizeitbeschäftigung. Das ist immer allen bewusst, und in dem Sinn arbeiten die Chöre daran, Nachwuchs zu rekrutieren. Gut, es gibt wenige Menschen, über die man sich wirklich freut, wenn sie sich auf den Gesang in der Dusche beschränken. Alle anderen sind erst mal herzlich willkommen, das Gemeinschaftsgefühl zu genießen und ihre Stimmen zu formen. Damit es auch weiterhin so wundervolle Erlebnisse wie das Weihnachtsoratorium von Camille Saint-Saëns gibt.

Michael S. Zerban