Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Sylvia Masini

Aktuelle Aufführungen

Von der Renaissance zum Mambo

ANTICHE DANZE/BANDONEÓN/
O BALCÃO DE AMOR
(Mauro Bigonzetti/Luis Arrieta/Itzik Galili)

Besuch am
5. März 2016
(Einmaliges Gastspiel)

 

Tanzwochen Neuss, Stadthalle

Anstatt darüber zu klagen, dass kein Geld für eine eigene Tanz-Compagnie vorhanden ist, drehte die Stadt Neuss den Spieß um. „Inmitten der vielen Städte, die an ihren Theatern eigene Ballett- und Tanzcompagnien unterhalten und daher keine Mittel für internationale Gastspiele zur Verfügung stellen können, bietet Neuss dem interessierten Publikum den gerade zur eigenen Orientierung so wesentlichen Überblick über die internationale Entwicklung an.“ Seit 1983 gibt es deshalb die Internationalen Tanzwochen Neuss, die jeweils von Oktober bis März monatlich ein Tanzgastspiel in der Stadthalle anbieten. So ganz nebenbei bietet das Festival den Beleg für die Bedeutung kultureller Veranstaltungen im Tourismus. Nach eigenen Angaben kommt die Hälfte der Besucher in der regelmäßig ausverkauften Stadthalle mit ihren rund 1.100 Sitzplätzen von auswärts.

Bei der letzten Aufführung der Tanzwochen Neuss sind auch die Künstler nicht aus der Stadt. Das Ballett der Stadt São Paulo in Brasilien will mit drei Stücken überzeugen. Dass die Choreografen der Stücke nicht aus Brasilien stammen, mag von der Internationalität des Corps zeugen, relativiert aber auch den Heimatbezug. Auf dem Weg zur Weltgemeinschaft ist nicht der Zwang zur Internationalität entscheidend, sondern der Wille, eine eigene Kultur zu entwickeln oder sie zu bewahren und auch anderen Ländern näherzubringen. Dass letztlich nicht die Choreografen, sondern die Tänzer die Aufführung entscheidend prägen – so das Paradigma dieser Tage – führt diesen Abend zum Erfolg. Soweit denn etwas zu sehen ist. Bei allen drei Lichtdesignern entwickelt die Beleuchtung der Bühne nicht einmal den Ansatz der Brillanz. In den hinteren Reihen bleibt kaum noch etwas außer Schemen übrig. Da die Lichtwechsel durchaus akzentuiert erfolgen, scheint es eher an der Ausstattung der Bühne zu liegen. Ändert aber nichts daran, dass mehr als die Hälfte der Aufführung in der Dunkelheit absäuft. Dass außer der Bewegung auf der Bühne nichts stattfindet, ist legitim.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Immerhin ist in Antiche Danze von Mauro Bigonzetti erkennbar, dass der Choreograf den Ballett-Mitgliedern ein Requisit an die Hand gegeben hat, um daraus etwas zu gestalten. In diesem Fall ist es der Reifrock, mal mit Bespannung, mal ohne. Zur Musik von Ottorino Respighi aus Antiche Danze ed Arie per Luito, einer Mischung aus Renaissance-geleiteter und sinfoniehafter Musik, bringen die Tänzer eine Kombination aus mechanischer und betont moderner Bewegung auf die Bühne. Da ist nichts groß zu interpretieren. Es macht einfach Spaß, erst die blütenhaften Bewegungen der Hände und später die gegenläufigen Haltungen von Männern und Frauen zu erleben.

Foto © Sylvia Masini

Bandonéon ist ein Stück des Argentiniers Luis Arrieta, das auf einem Konzert für Bandoneón und Orchester basiert. Ausschließlich für männliche Tänzer konzipiert, die auf der Bühne hin und her laufen, trifft Arrieta ziemlich genau die Tango-Monotonie des Instruments, die selbst unter Hinzunahme von Harfe und Geigern nicht viel an Variation gewinnt. Dass die durchtrainierten Männerkörper bei einem akustisch recht genau abgrenzbaren Teil des Publikums dennoch für wahrhafte Begeisterungsstürme sorgen, mag Gründe abseits der Tanzkunst haben. Und sei dann auch gegönnt.

Sehr viel spaßhafter geht es bei O Balcão de Amor von Itzik Galili zu. In einer Mischung aus Samba, Mambo, Cha cha und Rumba zeigt das Corps, dass es sehr viel mehr Schritte zu diesen Tänzen gibt, als sie in der Tanzschule gelehrt werden. Sexuelle Anspielungen und slapstickartige Schrittfolgen sorgen nicht nur für berechtigte Lacher, sondern spiegeln auch eine Lebensfreude wider, die dem Balé da Cuidade de São Paulo vielleicht am ehesten nahekommt. Dieses Stück zeigt in seiner heiteren Gelassenheit sehr genau, warum es wichtig ist, die kulturelle Identität zu bewahren. Um sie der Weltgemeinschaft zu schenken.

Das Publikum ist außer Rand und Band. Es bietet die ganze Bandbreite aller nur erdenklichen Beifallsformen nach jedem der Stücke. Schöner kann ein solcher Abend kaum verlaufen.

Michael S. Zerban