Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Marty Sohl

Aktuelle Aufführungen

Kein Glück mit Don Giovanni

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
22. Oktober 2016
(Live-Übertragung)

 

Metropolitan Opera New York
im Cineplex Münster

Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren wurde im Rahmen der Live-Übertragungen aus der Metropolitan Opera erstmals eine Mozart-Oper gezeigt. Schon damals sah die Neuproduktion des Don Giovanni von Michael Grandage eher beliebig als zwingend aus. Der Eindruck wiederholt sich nun in der zehnten Saison der Übertragungen, die, wie es scheint, immer noch genügend Interessenten, aber an Reiz verloren hat. So sind die Aufführungen im Cineplex Münster mittlerweile aus dem großen Saal 5 in den kleineren Saal 3 gewandert, der dafür aber überdurchschnittlich gut gefüllt ist.

Für die Freunde des traditionellen Theaters, aber auch für Neueinsteiger ist die aktuelle Produktion an der Met perfekt, da die Handlung der Oper sehr gründlich, allerdings auch sehr oberflächlich nacherzählt wird. Das Bühnenbild von Christopher Oram spiegelt diesen Eindruck. Auf den ersten Blick sehen die bühnenhohen, beweglichen Fensterfronten – und die Bühne ist ja wirklich hoch – im altmediterranen Design spektakulär aus. Für eine gute Nacherzählung bedarf es ja Fenster, Türen und Gassen, die nun zuhauf vorhanden und nach drei Stunden geradezu langweilig sind. Das scheint sich auch Bildregisseur Matthew Diamond gedacht zu haben und möchte diesem Manko vorbeugen. Also kleben die Kameras so sehr an den Sängern, dass man sie zu 80 Prozent der Übertragung von der Hüfte an aufwärts sieht. Interaktion mit den Kollegen auf der Bühne findet also laut Leinwand nur dann statt, wenn sich diese in der unmittelbaren Nähe des gefilmten Sängers befindet. Ansonsten sieht man einen Körper auf der Leinwand, der je nach schauspielerischer Leistung auch Mimik zu bieten hat, und das war es. Fast spektakulär muten da einige immer leicht wacklige Kameraschwenks von oben nach unten oder umgekehrt an, um zu zeigen, dass die Sänger dreidimensional auf der Bühne verteilt sind. Ein ziemlich kraftloser Ton aus den Lautsprechern macht dann das Maß voll. Rein technisch sind die Übertragungen aus der Met an ihrem Tiefpunkt angelangt. Mit einer spannenden Kameraführung hätte man wenigstens aus der Inszenierung etwas herausholen können. So hat man genügend Zeit festzustellen, dass die Kostüme von Christopher Oram bei den Damen wesentlich schöner aussehen als bei den Herren. Da darf man eigentlich von einem Opernhaus wie der Metropolitan Opera mehr erwarten. Anderseits lässt sich die fast dreifache Besetzung in den nächsten Wochen perfekt in dem System unterbringen, da jeder seine individuellen Stärken einbringen kann.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der szenische Durchschnitt färbt auch auf die vokalen Leistungen ab. Nicht, dass es da Ausfälle gäbe, aber so richtig spannend ist das nicht. Besonders bei den Damen fehlt es an der letzten Brillanz, die eigentlich die Ohren zum Schmelzen bringt. Bei Hibla Gerzmava kann man im Forte die unter Druck unangenehm flackernde Höhe nicht überhören und muss sie als Warnzeichen werten. Ihre edle Darstellung und das runde, gefühlvolle Legato sind die guten Seiten ihrer Donna Anna. Auch bei Mezzosopran Serena Malfi ist die Höhe der Schwachpunkt einer ansonsten tadellosen, aber eben auch nicht aufregenden Zerlina, die anfangs noch kalkuliert, doch dann zunehmend dankbarer mit ihrem Ehemann eins wird. Malin Byström zeigt die Fallhöhe von der hysterischen zur verzweifelten Donna Elvira. Ihre Leistung steigert sich zu einem sehr schön gestalteten Mi Tradi.

Foto © Marty Sohl

Vor allem in den Arien der Damen hört man die Stärken des Dirigats von Fabio Luisi. Er trägt seine Sänger auf Händen, atmet mit ihnen. Das Orchester der Metropolitan Opera darf mit schönen Feinheiten und zarten Zwischentönen in Erscheinung treten, leider aber nicht als treibender Motor. Denn Luisi versäumt es, den dramatischen Rahmen der Oper mehr auszureizen. Das hätte dem sanft dahin plätschernden Abend gutgetan.

Dadurch dass es den Damen an der letzten Überzeugungskraft fehlt, hat Matthew Rose leichtes Spiel, sich als Masetto nachhaltig in Erinnerung zu singen. Adam Plachetka nutzt den szenischen Freiraum, um den Leporello pointiert und komödiantisch vorzutragen. Paul Appleby vertritt den ursprünglich vorgesehenen Rolando Villazón und spielt Don Ottavio mit nobler Entschlossenheit. Seinem sehr schön geführten Tenor fehlt noch der letzte zupackende Elan. Mit Spannung wurde die Bühnenrückkehr von Simon Keenlyside erwartet, der nach einer Auszeit noch nicht die Eleganz und Mühelosigkeit früherer Tage wieder gefunden hat. Allerdings ist er die einzige Person mit echtem Tiefgang auf der Bühne. Dass sein stellenweise rauer Don Giovanni ins Zentrum rückt, liegt an seiner Erfahrung, an seiner schier endlosen Kraft, mit der er einen unberechenbaren Verführer spielt. Mal handzahm, mal animalisch wild und mit einer packenden Schlussszene, wo ihn Kwangchul Youn als Commendatore und wilde Flammen zur Hölle schicken. Selbst diesen Moment hätte die Kameraführung beinahe vermasselt.

Dass Keenlyside seinem Publikum etwas von dieser Partie über die Noten hinaus erzählen möchte, merkt man auch im Interview mit Moderatorin Joyce DiDonato, die kaum drei Fragen gestellt bekommt. Sie kann auch nichts daran ändern, dass das Rahmenprogramm ebenso oberflächlich wirkt wie der Rest des Abends. Jubel für die Musiker in New York, zufriedene Gesichter in Münster – gleichwohl es kein voller Erfolg ist, ist eine Oper von Mozart immer ein positives Ereignis. Das merkt man auch bei den Zuschauern, die zum ersten Mal eine Liveübertragung oder überhaupt eine Oper schauen. Der gesamte Rahmen mit Untertiteln und Bühnennähe ist für sie spannend und macht neugierig auf mehr. Womit ein wichtiges Ziel erreicht wäre.

Christoph Broermann