Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Spinnereien

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)

Besuch am
5. März 2016
(Premiere am 26. Februar 2006)

 

 

Bayerische Staatsoper, München

Peter Konwitschnys Leistung für die Wagnerdeutung ist unberufen. Neben Händel inszenierte er quasi alle Opern Wagners und pflegte seinen Stil. Manchen Inszenierungen allerdings sieht man die erste Dekade bereits deutlich an. Neben Tristan und Parsifal hat er an der Münchner Staatsoper auch den Holländer als Mischung aus romantisch klassischer Erzählung und frecher Brechung produziert. Die Aufreger von 2006 wollen nicht mehr recht zünden. Sein Erzähltalent bleibt erhalten.

Der Gag des Abends war und ist der zweite Aufzug mit einem mittelmäßigen Wortwitz. Der Spinnchor wird zum Spinningkurs. Neonfarbene Damen strampeln sich auf Hometrainern ab. Nach zehn Jahren quietschen diese störend, der Witz hat sich ebenso wie Johannes Leiackers Bühnenbild abgenutzt. Konwitschny spielte die Anachronismenkarte. Rembrandts Nachtwache entstiegen, kommen die uniformen Boandlkramer vom Holländer-Schiff herunter und stehen den modernen Norwegern als Schatten vergangener Flüche und Piratenzeiten gegenüber. Noch ganz klassisch geschieht das im ersten Aufzug. Zwei Relings, eine aus Stahl, eine aus überwuchertem Holz senken sich an die Felsen. Verfluchter und Realist treffen aufeinander. Der hübsche Prospekt zeigt Meeresszene. Als Fremdkörper steht schließlich der Holländer in der Moderne einer Senta gegenüber, die durchwegs durch den Wind scheint, eine Abenteurerin, wenig reflektiert und motiviert romantisch. Sinnig gelingt der Steuermannchor als Party, an der die Verdammten schlichtweg nicht teilnehmen möchten. Am Ende aber kommt noch einmal der Regiehammer. Senta stürzt sich nicht in die See, sie entzündet ein Benzinfass und tötet scheinbar alle; ob verfluchte Seemänner brennen können, erschließt sich dabei nicht. Die Musik zumindest bricht ab und klingt fern aus der Konserve zu Ende.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Konwitschny unterstreicht, dass er die Romantik dieses Frühwerkes nicht tilgen wollte, schafft rührende Momente, malt einen müden, sich auf seine Mannschaft stützenden Holländer, ihm gelingt die Überzeichnung des raffsüchtigen Schacherers Daland. Senta will man nicht recht verstehen, und die Ausschläge einer ehemals beliebten Überdeutung haben sich überholt. Spannend aber bleibt dieser Holländer für Jung und Alt, wie die gespannten Kinderaugen dieser Jugendvorstellung ebenso wie die Reaktionen der Älteren beweisen. Das liegt jedoch vor allem an den ausnahmslos grandiosen Sängerinnen und Sängern.

Foto © Wilfried Hösl

Bevor Michael Volle einen neuen Schaffensschwerpunkt an der Metropolitan Opera beschreiten wird, feiert er seine Titelrolle mit sichtbarem Vergnügen. Finster dreinblickend, mal tänzelnd, mal strauchelnd klammert sich dieser zu lange Verdammte an die letzte Hoffnung. Stimmlich gelingt ihm moderner Wagner-Klang. In den höheren Lagen fühlt sich Volle wohler, im Tiefen bleibt er robust, dosiert die Kraft und schafft den Kampf mit Chor und Orchester. An seiner Seite glänzt nach der Siegfried-Brünnhilde erneut Catherine Naglestad als Senta. Neben ihrem Berliner Strauss-Debüt singt sie sich mehr und mehr an die Spitze des deutschen Fachs. Saubere, lange gehaltene und kraftvolle Spitzen werden durch eine wohlklingende Mittellage ergänzt. Spielerisch die Zähne zeigend, strahlt sich in Klang und Darstellung ihre Liebe für Wagner aus, die sie sofort transportiert. Ähnlich beim donnernden, pointenreichen Peter Rose. Seine Stimme hallt lange nach, seine Darstellung überzeugt. Klaus Florian Vogt kann stimmlich als Erik mehr überzeugen, als es ihm mit Sigmund gelang. Zwar spielerisch wie ein Hackstock der Sauna entstiegen, liegt ihm die Rolle der hellen, hohen Stimme. Sein Lohengrin an Ostern könnte dennoch eine Herausforderung werden. Aufgefüllt, motiviert und donnernd kommen auch Seeleuten und Mädchen daher, endlich einmal klingt der Steuermannchor nicht brav moduliert, sondern als rhythmisches Trinklied, als sangliches Gelage, das Sören Eckhoff schmissig anleitet.

Mit Verve auch das Dirigat. Asher Fisch dirigiert viel am Haus, sein Repertoire ist vielseitig, seine Rolle durch Kirill Petrenkos zunehmende Verpflichtungen in Berlin vielleicht bald größer. Er dirigiert nicht Wagner, sondern den jungen, hagestolzen Wagner samt seiner rauschenden Wellen, seinen dramatischen Akzenten und einer Erlösungsmelodie, die weit vorausdeutet auf das, was mit dem Ring folgen wird. Die Ouvertüre bereits ein Fest und schon hier die gefährliche Stimmung zwischen Suggestion und Aggression.

Diese Musik überdauert länger als zeitgenössischer Regiekult. Die handwerkliche Kunst Konwitschnys bleibt bestehen und wird getragen von exzellenten, motivierten Sängern und einem inspirierten Allrounder am Pult, die allesamt Begeisterungsstürmen ausgesetzt werden, von kleinen Gegruselten und altgedienten Wagnerianern.

Andreas M. Bräu