Opernnetz

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Aktuelle Aufführungen

Kritischer Blick auf revolutionäre Strömungen

REGINA
(Albert Lortzing)

Besuch am
18. März 2016
(Premiere)

 

Südthüringisches Staatstheater
Meiningen

Eine Revolutionsoper mit nationalistischem Pathos – das ist Regina von Albert Lortzing. Dass das Werk praktisch keiner kennt, hat Gründe: 1848 geschrieben unter dem Eindruck der standrechtlichen Erschießung seines Freundes Robert Blum, einem „Märtyrer der österreichischen Freiheit“, wie es in einem zeitgenössischen Text heißt, wurde die Oper sofort verboten. Und auch wenn der Komponist durch unterhaltsame Spielopern zu Lebzeiten erfolgreich war, die nach seinem Tod gerne inszeniert wurden und heute noch werden, die Regina blieb weiterhin in der Versenkung. Erst 1899 kam sie in verstümmelter Form heraus, und endlich, 150 Jahre nach ihrer Entstehung, erblickte die Originalfassung das Licht der Bühne. Lortzing, auch der Librettist dieses Werks, hat hier eine ernste Oper mit wenigen Dialogen geschrieben, nahezu durchkomponiert, mit leitmotivischen Anklängen, effektvoll instrumentiert und mit durchaus anspruchsvollen Partien für die Sänger. Gegenstand ist hier, in der Zeit des Biedermeiers und im Nachhall zur Romantik, die Not, das Aufbegehren von Fabrikarbeitern, der gewaltsame Aufstand verarmter Schichten, die Vaterlandsliebe. Das ist neu, eckt an beim etablierten Bürgertum, zumal die Heldin, die Fabrikbesitzerstochter Regina, sich selbst aus bedrängter Lage rettet, während die Männer zu spät kommen.

Auch in Meiningen ist die Oper mit ihrer durchaus spannenden Handlung nun zum ersten Mal zu erleben. Vieles daran besitzt durchaus Parallelen zum stets von Armut bedrohten Leben des Sängers, Schauspielers und Komponisten Lortzing. Also belässt Regisseur Lars Wernecke das Geschehen in der Zeit der Entstehung der Oper, weist während der Ouvertüre auf die widerrechtliche Erschießung von Blum hin, und auch in den Kostümen von Dirk Immich spiegelt sich die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts sowohl in der Kleidung der arbeitenden Bevölkerung wie auch im biedermeierlichen Äußeren des Bürgertums. Immich deutet mit hölzernen Barrikaden an den Seiten die revolutionäre Stimmung an. Im ersten Akt, in der Fabrikhalle, erinnert der Plafond mit seinen Zahnrädern, schweren Ketten und Haken an die beginnende Industrialisierung mit der Ausbeutung der Arbeiter, die hier mit einem Streik drohen. Die aus dem Unterboden herauf gefahrene Waldhütte enthält im zweiten Akt einerseits ein Zimmer als Rückzugsort für die Frauen und andererseits eine Schänke für die Freischärler. Der dritte Akt, anfangs eine Anspielung auf die kritisch gesehene Kleinbürgeridylle bei Spitzweg, zeigt Leute in Schwarz-Weiß, wie sie sich an deutsch-nationalen Ideen freuen und Adelige als Strohpuppen aufknüpfen. Eine trügerische Vision. Denn mit der Entführung Reginas durch den immer mehr seinem Wahn verfallenen, verzweifelten Revolutionär Stephan und seiner Drohung, sich mit ihr im Pulverturm in die Luft zu sprengen, ist es mit der Vision einer froh zu genießenden Freiheit vorbei. Regina nimmt das Heft des Handelns in die Hand, und nur kurz währt die Freude über Rettung und Wiedersehen. Das Volk verkündet die Freiheit und stimmt eine Hymne auf das Vaterland an, während eine riesige weiße Germania-Büste hereinfährt, blutige Tränen weint und brennt. Ein verstörender Blick in die Zukunft der Menschen: Sieg und Ruhm sind erkauft mit Vernichtung. Eine legitime kritische Deutung des Schlusses und Abkehr von jedem Nationalismus und euphorischen Patriotismus.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Auch musikalisch bietet die wenig bekannte Oper Lortzings Überraschendes. Die Ouvertüre mit den heldischen Trompetensignalen und dramatischen Momenten verweist schon auf traurig Düsteres, auf emotionale Zerwürfnisse, aber auch auf idyllische Stellen, unterlegt etwa mit Cello-Kantilenen oder Harfe. Dirigent Lancelot Fuhry führt die Meininger Hofkapelle mit viel temperamentvollem Elan, doch der große, klangstarke Chor mit Extrachor, einstudiert von Matthias Köhler, hält da mit dem Tempo nicht immer ganz mit. Im Verlauf des Geschehens stabilisiert sich das jedoch. Besonders fein gelingt der Zech-Chor der betrunkenen Freischärler Zum Teufel mit den edlen Herrn, als sie mit dem verlöschenden Refrain in den Schlaf sinken. Die Orchestrierung Lortzings, oft bewusst auf Wirkung aus, begleitet die Stimmungen der Akteure sehr geschickt und ist insgesamt sängerfreundlich.

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Am Anfang, beim Aufstand der Fabrikarbeiter wegen des geringen Lohns, kann Hausdiener Kilian den Aufruhr noch besänftigen. Stan Meus, ein heller, etwas schneidender Tenor, verkörpert diese Figur sehr lebendig und wird vom hübschen Dienstmädchen Beate, Carolina Krogius, mit angenehmer Stimme unterstützt in seinem Bemühen, dass es zu keiner Gewalt kommt. So kann er listig die Freischärler, nachdem sie die Fabrik in Brand gesteckt haben und bei seiner Mutter Barbara, der stimmstarken Christiane Schröter, vor einem Gewitter in der Waldschänke Schutz suchen, durch ein Schlafmittel außer Gefecht setzen. Eine etwas seltsame Position hat Fabrikbesitzer Simon, von Christoph Stegemann mit etwas steifem Bass gesungen. Einerseits ist er der Patron der Fabrik, der wenig zahlt, aber dennoch von seinen Arbeitern geliebt wird. Andererseits ist verwunderlich, dass seinem eigentlich aus kleinen Verhältnissen stammenden Geschäftsführer Richard die einzige Tochter und Erbin Regina zur Frau gibt. Dieser Richard, ein sympathisch zurückhaltender Zeitgenosse, wird von Daniel Szeili mit fülliger, etwas offener Stimme, die leider nicht immer intonationssicher sitzt, dargestellt. Sein erbitterter Rivale Werkmeister Stephan ist schon lange in Regina verliebt, rechnet sich deshalb auch Chancen aus; als ihm das aber verwehrt wird, rastet er aus, steigert sich in einen revolutionären Wahn und Hass auf die Besitzenden und entführt Regina. Matthias Vieweg imponiert in dieser Rolle nicht nur durch sein ausdrucksvolles Spiel, sondern auch durch seinen kernigen, kräftigen, facettenreichen Bassbariton. Aufgestachelt zur Gewalttätigkeit wird er durch den düsteren Anführer der Freischärler, Mikko Järvilouto, einen etwas undifferenzierten Bass. Dass Stephan am Schluss von Regina in Notwehr erschossen wird, erscheint ebenfalls neuartig. Anne Ellersieck, leider etwas indisponiert, gestaltet diese Figur mit ihrem hellen, beweglichen, fein glänzenden Sopran recht überzeugend.

Das Premierenpublikum im nicht ganz voll besetzten Meininger Theater bejubelt das Wagnis einer quasi neu entdeckten Lortzing-Oper einhellig und feiert alle Ausführenden mit langem, begeistertem Beifall. Zu hoffen ist, dass dieses musikalisch dankbare Werk öfter auf dem Spielplan erscheint.

Renate Freyeisen