Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Javier del Real

Aktuelle Aufführungen

Das pralle Leben im Süden

DAS LIEBESVERBOT
(Richard Wagner)

Besuch am
5. März 2016
(Premiere am 19. Februar 2016)

 

 

Teatro Real Madrid

In einer Serie von neun Aufführungen zeigt das Madrider Teatro Real Richard Wagners zweite Oper Das Liebesverbot. In Madrid widmet man sich dem Werk mit vollem Einsatz. Nicht als Rarität aus dem Bereich des Abseitigen wird das seit der missglückten Uraufführung 1836 weitgehend vernachlässigte Werk gegeben, sondern als vollwertige Oper aus eigenem Recht. Die internationale Koproduktion mit dem Londoner Royal Opera House Covent Garden, dessen Operndirektor Kasper Holten die Inszenierung verantwortet, und dem Teatro Colón in Buenos Aires ist die spanische Erstaufführung dieses Wagnerschen Frühwerkes. Sie ist Bestandteil der Feierlichkeiten zum 200-jährigen Bestehen des Madrider Opernhauses und zugleich des 400-jährigen Todestages Shakespeares, dessen Maß für Maß die Grundlage des Wagnerschen Librettos bildet. Die Dernière der Produktion wird über Radio Clásica des Spanischen Rundfunks landesweit live und europaweit über die European Broadcasting Union ausgestrahlt und für die TV- und DVD-Verwertung aufgezeichnet. Mehr Aufmerksamkeit kann man der „wunderlichen Jugendarbeit“, wie sie Wagner rückblickend despektierlich in seinen Cosima diktierten Erinnerungen Mein Leben nennt, kaum angedeihen lassen. Ist es das wert? Es ist!

Funkelnd und brillant, spritzig und con brio, startet Musikdirektor Ivor Bolton mit dem bestens aufgelegten einstudierten Titularorchester des Teatro Real, dem Orchestra Sinfónica de Madrid. Frisch, luftig und leicht klingt es, Kastagnetten klappern, ganz klar, wir befinden uns im Süden. Das Orchester musiziert die rund achtminütige Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang, doch unter der wachen Obhut des jungen Wagners, dessen groß projiziertes animiertes Bildnis rege Anteil nimmt : aufmerksam, nachdenklich, lächelnd, auch zugleich amüsiert, augenzwinkernd; distanziert, doch wohlwollend selbstironisch zuhörend blickt er auf das Orchester herab.

Wagner hat in seiner Bearbeitung des Shakespeare-Stoffes die Handlung von Wien nach Palermo verlegt und damit voll auf den Gegensatz vom kühlen, nüchternen, repressiv regulierten und sinnenfeindlichen Norden und dem vermeintlich sinnenfreudigen, regellosen und freiheitsliebenden Süden gesetzt. „Freie, offene Sinnlichkeit erhält den Sieg rein durch sich selbst über puritanische Heuchelei“, so das Programm des Komponisten für das Liebesverbot. Dabei verbindet er die nicht erst seit Goethe beliebten deutschen Italien-Klischees mit den politischen und libertinen Ideen des deutschen Vormärzes. Die „große, komische Oper“ zeigt den vergeblichen Versuch einer Domestizierung des Südens durch den Norden, ein Thema, das unter anderen Vorzeichen gerade auch die europäische Tagespolitik bestimmt. Kasper Holten nimmt das auf, siedelt die Inszenierung jedoch ohne spezifische historische Festlegung quer durch die Zeiten an. Obschon historisch gekleidet, verständigen sich die Akteure partiell ganz selbstverständlich per Handy.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Handlung startet im neonbeleuchteten Rotlichtbezirk von Palermo. Statthalter Friedrich soll stellvertretend für den König von Sizilien deutschen Puritanismus durchsetzen. Alkoholkonsum, Sex und Karneval werden aus dem öffentlichen Leben verbannt, und das Vergnügungsviertel von Palermo wird abgesperrt. Kommuniziert wird das Liebesverbot ganz heutig via Twitter, gut lesbar am Bühnenrand in den Projektionen des Videodesigners Luke Halls. Das in Anlehnung an Piranesi oder Escher gestaltete Bühnenbild von Steffen Aarfing lässt im Zusammenspiel mit Video- und Lichttechnik schnelle Verwandlungen zu. Was eben noch ein vielzimmriges Bordell war, ist so schnell in ein Kloster verwandelt. Holten setzt in seiner Inszenierung auf Spektakel und die Drastik der Comedy. Die Überzeichnung von Gesten und Charakteren passt gut zum karnevalesken Thema, ist auch Mittel, den heuchlerischen Politikertypus zu geisseln, der Wasser predigt und Wein trinkt. En passant wird so ein aktueller Kern aus der komischen Oper herausgestellt. Bei aller Komik bleiben Holtens Personenporträts nicht auf bloßer buffa-Ebene. Besonders gut gelingt Holten das bei der Figur des Statthalters Friedrich. Trotz der überzeichneten Borniertheit einer unterwürfig dienstbeflissenen und karriereorientierten Prädisposition gewinnt der Charakter Tiefe in seinem Scheitern, wenn er pflichtvergessen der Macht des Eros erliegt und auf die Intrige der Isabella hereinfällt – im Prinzip also ein Vorgänger von Amfortas. Am Ende des zweiten Aktes landet Holten noch einen veritablen coup de théâtre: Angela Merkel landet als Königin von Sizilien im Bundesregierungsjet in Palermo, öffnet unter dem Jubel der aufständischen Bevölkerung den Geldkoffer und beendet die lästige Austeritätsdebatte: eine friedliche Vereinigung von Nord und Süd aus der Perspektive und auf den Theaterbrettern des Südens. Die Inszenierung ist vielleicht nicht unbedingt zwingend und stringent, spricht manches an, arbeitet es kaum aus, strotzt aber vor Einfällen und ist so unterhaltsam im guten Sinne.

Foto © Javier del Real

Das Faszinierende am Liebesverbot, besonders in dieser mitreißend musizierten und gespielten Madrider Fassung ist, dass man in der Textur der von Wagner vielseitig amalgamierten Vorbilder der französischen Grand Opéra, des Belcanto eines Rossini, Donizetti, Bellini, und aus der deutschen Tradition eines von Weber, Marschner, Mozart und Beethoven immer schon den späteren Wagner hört. Es ist frappierend, wie viele motivische und inhaltliche Ausblicke auf Holländer, Lohengrin, Tannhäuser, den Ring und sogar dem thematisch antagonistischen Parsifal in diesem selbstbewussten, immer noch außerhalb des üblichen Wagner-Kanons liegenden Werk angelegt sind. Bolton hat eine um die Dialoge gekürzte Spielfassung erstellt und auch leichte Straffungen hinsichtlich der Wiederholungen vorgenommen, was zu einer Aufführungsdauer von drei Stunden inklusive Pause führt.

Bolton erweist sich als begeisterter Anwalt und Kenner des Werkes, dessen Enthusiasmus offenbar das ganze Ensemble immens beflügelt – ein Ensemble in Hochform und auch in Hochstimmung, selten zu sehen, wie beglückt eine Aufführung zu Ende gehen kann. Das Orchester bewältigt die Partitur makellos, der erste Eindruck während der Ouvertüre wird nicht enttäuscht. Der Chor unter der Leitung von Andrés Máspero ist sängerisch – mit Abstrichen bei der Textverständlichkeit – und auch darstellerisch in Bestform. Manuela Uhl und Christopher Maltman dominieren als Isabella und Friedrich das Ensemble, beide bewältigen die schwierigen Parts mit Bravour und balancieren die ironisch-komischen und psychologisch komplexeren Aspekte ihrer Rollen locker aus. Ante Jerkunica erweist sich in der Rolle des Brighella als begnadeter Komiker, und María Hinojosa als Dorella ist ihm eine gute Partnerin. Sehr homogen auch die weiteren Protagonisten: María Miró als Mariana, Peter Lodahl als Lucio, Ilker Arcayürek als Claudio und Francisco Vas, David Alegret, David Jerusalem sowie Isaac Galán in den Nebenrollen.

Das Publikum reagiert, kaum zu glauben, gespalten. Die Mehrheit feiert die Inszenierung mit Ovationen, ein kleiner, aber deutlich wahrnehmbarer Teil verlässt den Saal abrupt, kalt und teilnahmslos.

Bemerkenswert ist, dass das Madrider Opernhaus Das Liebesverbot mit einem differenzierten Rahmenprogramm umgibt, das sich über die ganze Stadt erstreckt. Hervorzuheben etwa die Einladung des vorzüglichen französischen Barockorchesters Les talens lyrique unter der Leitung von Christophe Rousset und der Sopranistin Maria Grazia Schiavo mit einem Konzertprogramm mit Shakespeare-Vertonungen vor Wagner: Purcell, Händel, Veracini, Graun und Benda. Eine Konferenz im Museo del Romanticismo über die Einflüsse der Revolution auf Wagner und Verdi, ein Filmprogramm in der spanischen Cinemathek, Ausstellungen und Theaterstücke mit verschiedenen Kooperationspartnern eröffnen viele Möglichkeiten der Vertiefung.

Dirk Ufermann