Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Lorraine Wauters

Aktuelle Aufführungen

Macho in Unterhose

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
22. November 2016
(Premiere am 20. Oktober 2016)

 

 

Opéra Royal de Wallonie, Liège

Nach einem missglückten Nabucco folgt mit einer völligen Fehldeutung von Mozarts Don Giovanni ein zweiter Tiefschlag, den dem ambitionierten Intendanten der Opéra Royal de Wallonie, Stefano Mazzonis di Pralafera, niemand gönnen mag. Immerhin mangelt es ihm bei der Wahl seiner Regisseure nicht an Risikobereitschaft, die allerdings ihre Grenzen finden sollte, wenn man einen Theatermann mit einem derart komplexen Schlüsselwerk des Repertoires betraut, der offenbar nichts von den Intentionen Mozarts und dessen Librettisten da Ponte verstanden hat oder verstehen will. Dabei sind sowohl die Musik als auch der Text so pointiert angelegt, dass grundsätzliche Verständnisschwierigkeiten ausgeschlossen sein sollten.

Bei Mozart ist es völlig egal, ob man seine Stücke in einer Frittenbude wie Peter Sellars oder in Prunksälen wie Michael Hampe ansiedelt. Stimmen muss die Psychologie der Figuren. Und da tut sich Regisseur Jaco van Dormael keinen Gefallen, wenn er seinen Helden nicht aus der Perspektive Mozarts formt, sondern aus der Tirso de Molinas, des literarischen Urvaters des Don-Juan-Mythos.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der verstand den spanischen Edelmann noch als gewalttätigen Schürzenjäger und so startet auch die Lütticher Inszenierung. Don Giovanni vergewaltigt Donna Anna, schlägt ihren alten Vater brutal zusammen, ertränkt ihn und wirft anschließend mit Geldscheinen um sich, um schöne Damen an sich zu ziehen, die, oft extrem knapp bis gar nicht bekleidet, bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten über die Bühne stolzieren und im Finale sogar als Fleischgericht auf der Festtafel landen. Schön garniert mit Rotwein und anderen Schleckereien. So weit, so schlecht.

Foto © Lorraine Wauters

Doch Mozart und da Ponte präsentieren uns einen anderen Helden, einen Helden am Ende seiner Erfolgskurve. Einen Mann mit einem Charisma, dem auch starke Frauen verfallen und der Frauen weder kaufen noch vergewaltigen oder demütigen will oder muss. Er sieht sein Verführungswerk als Pflicht, jeder Frau dienen zu müssen, unabhängig vom Stand, „schön und hässlich, jung und alt“, wie es in Leporellos Register-Arie heißt. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Don-Giovanni-Vertonungen der Mozart-Zeit, etwa der Giovanni Gazzanigas, in der hässliche und alte Frauen bewusst ausgeschlossen werden. Ein proletenhafter, also konventioneller, im Grunde unbedeutender Macho ist Mozarts Don Giovanni eben nicht. Und dass er sich der Lütticher Festgesellschaft in Unterhosen nähert, macht ihn nicht interessanter. Dass er seine Liebesbeschwörungen im zweiten Akt per piependem Handy übermittelt, mag zwar „hip“ sein, erweist sich theatralisch aber als belang- und spannungslos.

Ein großer Teil des Stücks spielt bei van Dormael im Großraumbüro eines modernen Unternehmens, in dem Leporello die Liebes-Statistik seines Herrn natürlich auf dem PC abgespeichert hat, in dem Zerlina als Putze und Masetto als Fensterputzer in die Fänge des Konzernchefs geraten. Donna Anna und ihr Vater scheinen Geschäftsfreunde Don Giovannis zu sein und Donna Elvira eine leitende Angestellte. Der Komtur erscheint nicht als „steinerner Gast“, sondern fade auf dem Monitor. Denkbare, wenn auch nicht sehr theaterwirksame Lösungen, gegen die nichts einzuwenden wäre, wenn vor allem die schillernde Komplexität der Titelfigur auch nur annähernd erfasst worden wäre.

Immerhin stellt van Dormael die drei zentralen Frauen nicht als dumme Hühner dar. Mit dem Ergebnis, dass das oberflächliche Macho-Gehabe Giovannis umso aufdringlicher in Erscheinung tritt und die Figur auf Alltagsformat zurückgeschnitten wird. Positive Eindrücke stellen sich nur punktuell ein: Die Zerlina-Arien lassen immerhin erkennen, dass es van Dormael nicht an Fantasie mangelt. Und wenn der Komtur Don Giovanni am Ende in den Pool zieht, stellt sich sogar ein Hauch von Nervenkitzel ein. Doch wenn die Festgesellschaft am Ende des ersten Aktes musikalisch den Titelhelden in die Enge treibt, durchkreuzt van Dormael diese Wirkung, wenn er den Chor in eine hilflose Starre versetzt.

Dass der Regisseur den Sinn des Werks nicht einmal im Ansatz begriffen hat, zeigt sich im unverzeihlichen Strich der Schluss-Szene. Wie zu moralinsauren Zeiten unserer Ur-Ur-Großväter lässt er das Stück mit Giovannis Höllensturz enden, die mit erhobenem Zeigefinger zeigen wollten, wie solche unartigen und unkeuschen Bösewichter enden. Dass Mozart mit der hier gestrichenen Schluss-Szene genau das nicht beabsichtigte und viel mehr die nachhaltige Wirkung des Helden auf die zurückgelassenen „Opfer“ in den Mittelpunkt stellen wollte, geht dadurch verloren.

Schade, denn das aufwändige, zweigeschossige Bühnenbild von Vincent Lemaire, geteilt in einen schwarzen Prunksaal inklusive eines Swimming-Pools und eine moderne Bürolandschaft, böte Chancen für eine angemessenere Darstellung.

Dirigent Rinaldo Alessandrini führt routiniert, teilweise mit sehr eigenwilligen Tempovorstellungen durch den Abend. Von den hinter- und tiefgründigen Zwischentönen der Musik ist nicht viel zu hören.

Vokal sind nur zwei Rollen nahezu makellos besetzt. Zum einen Leonardo Cortellazzi als Ottavio mit seinem ausgeprägt schönen und kultivierten Tenor, zum anderen Céline Mellon als kecke und auch stimmlich putzmuntere Zerlina. Die anspruchsvollen Frauenrollen führen Veronica Cangemi als Donna Elvira und Salome Jicia als Donna Anna an ihre Grenzen, wobei sich beide im zweiten Akt steigern. Und Mario Cassi als Don Giovanni vermag weder darstellerisch noch stimmlich der herausragenden Position und der schillernden Zeichnung der Figur gerecht zu werden. Ein großspuriger Macho. Mehr nicht. Blass bleibt Laurent Kubla als Leporello, noch blasser Roger Joakim als Masetto.

Das Publikum reagiert sehr freundlich auf diese Total-Entgleisung und lacht erstaunlich viel. Meist allerdings an den falschen Stellen.

Pedro Obiera