Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Von der besten aller Welten

CANDIDE
(Leonard Bernstein)

Besuch am
9. Dezember 2016
(Premiere am 4. Dezember 2016)

 

 

Oper Köln, Staatenhaus

Was die Stoffe seiner Bühnenwerke angeht: Auch da achtete Leonard Bernstein neben dem Unterhaltungswert auf Qualität und eine dicke Prise Tiefgang. Mit der Romeo-Adaption der West Side Story glückte ihm ein Coup der Superlative, mit Candide nach Voltaires gleichnamiger Novelle sollte sich der Erfolg erst nach mehrmaligen Retuschen einstellen. Allerdings auch dann konnte das 1956 mit mäßigem Erfolg uraufgeführte Stück nie an die Triumphe der ein Jahr später aus der Taufe gehobenen West Side Story anknüpfen. Dass Candide beim Publikum durchaus auf Begeisterung stoßen kann, zeigt derzeit die Kölner Oper mit einer Übernahme vom Münchner Theater am Gärtnerplatz.

Auch wenn das Kölner Publikum alle Akteure überschwänglich bejubelt: Die Probleme des Stücks lösen sich dadurch nicht auf. Dass sich das Werk auf unseren Bühnen schwertut, hat mit der Erwartungshaltung zu tun, die mit amerikanischen Bühnenwerken verknüpft ist. Und die zielt auf das kommerzielle Musical ab, entweder im verzuckert britischen Lloyd-Webber-Ambiente oder mit kaum anspruchsvollerem Broadway-Geruch. Doch gerade dem misstraute Bernstein stets und nennt Candide recht rätselhaft eine „Comic Operetta“. Eine Fantasiebezeichnung, die quasi alle Elemente der Oper, der Operette, des Musicals und des Balletts in sich vereinigt. An Buntscheckigkeit und stilistischer Vielfalt fehlt es dem Werk wahrlich nicht. Allerdings demonstriert Bernstein seine kompositorische Flexibilität so ausladend, dass sich das Werk eher wie eine fast dreistündige Revue präsentiert denn als ein dramaturgisch geschlossenes Bühnenwerk.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Daran trägt natürlich auch die nicht für die Bühne gedachte Vorlage von Voltaire Mitschuld, die die Biografie des Titelhelden in alle erdenklichen Winkel der damals erschlossenen Welt führt. Im Grunde entpuppt sich das Stück als mehr oder weniger lose zusammenhängendes Stationen-Drama.

Foto © Paul Leclaire

Interessant ist natürlich die Spitzzüngigkeit, mit der Voltaire optimistisch gestimmte Aufklärer à la Leibniz vorführt. Aufklärer, die die bestehende Welt für die „beste aller möglichen Welten hielten“ und „alles“, auch die schlimmste Katastrophe, für gut erklärten. Diese Botschaft erfährt Candide, der uneheliche Spross einer westfälischen, sich glücklich schätzenden Adelsfamilie, durch den Unterricht des Philosophen Pangloss. Bald bekommt der junge Mann die Segnungen der „besten aller Welten“ allerdings sehr schmerzhaft am eigenen Leibe zu spüren. Krieg, Verfolgung, Inquisition, Erdbeben, Ausbeutung allerorten, in Europa, Nord- und Südamerika und auch in Konstantinopel, bringen den jungen Mann immer wieder in Bedrängnis und Verzweiflung, bis er sich am Ende mit der bescheidenen Mission zufriedengibt, „seinen Garten bestellen“ zu wollen.

Eine literarisch brillante Vorlage, die freilich zu einer szenisch oberflächlichen Nummern-Oper(ette) verleitet. Eine Gefahr, die Bernstein auch mit seiner virtuos von der Polka bis zum Swing reichenden Musik- und Tanzfolge nicht bannen kann.

Choreograf und Regisseur Adam Cooper stellt in seiner munteren Inszenierung gerade diesen Aspekt pointiert heraus. In der Kostümflut von Alfred Mayerhofer, die neben den von Rainer Sinell reich bebilderten Bühnenwänden für jede Menge Farbe sorgt, bekommen erwartungsgemäß die Tänzer reichlich Gelegenheit, sich zu produzieren. Allerdings bewegen sich die Tanzszenen in sehr konventionellen, geradezu routinierten Bahnen.

Das Orchester ist hinter einer durchlässigen Scheibe postiert, wodurch die über Mikroport verstärkten Singstimmen an Dominanz gewinnen. Leider lässt Cooper die Figuren überwiegend zu ebener Erde agieren, obwohl ein breites Bühnenpodest angelegt ist. Angesichts der Sichtverhältnisse muss man sich schon mächtig recken, um wenigstens ein paar Details erhaschen zu können.

Musikalisch verbreitet sich unter der Leitung von Benjamin Shwartz von der Ouvertüre an gute Laune, die nicht immer zu den blutrünstigen Episoden der Handlung passt. Die Unmenge der Solo-Partien bewältigen die Kölner mit ihrem nach wie vor gut geführten Ensemble auf beachtlichem Niveau. Besondere Aufmerksamkeit verdient natürlich Jeongki Cho mit seinem lyrisch weich geführten Tenor in der Titelrolle. Aber auch Simon Butteriss in gleich vier Rollen, drunter auch als Philosoph Pangloss, fällt stimmlich und darstellerisch nicht ab. Hervorzuheben sind noch Publikumsliebling Dalia Schaechter als „old Lady“, Emily Hindrichs als Candides Geliebte Cunegonde und Nazide Aylin als kokette Paquette. Auch unter den restlichen Sängern ist kein einziger Ausfall zu beklagen. Allerdings sind für nahezu alle Rollen Alternativbesetzungen vorgesehen.

Eine musikalisch kurzweilige, auf Dauer doch etwas lang geratene Satire mit überwiegend zahmem Witz. Dem Publikum gefällt‘s.

Pedro Obiera