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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Katrin Ackers

Aktuelle Aufführungen

Die Tageszeiten in Ton und Bild

FRÜHLINGSFEST
(Georg Pfilipp Telemann)

Besuch am
20. September 2016
(Einmalige Aufführung)

 

 

Festival Alte Musik Knechtsteden, Basilika

Keine Frage: Die ungebrochene Neugier und Experimentierfreude, mit der Hermann Max seit 25 Jahren das Festival Alte Musik Knechtsteden mit gewagten Programmkonzepten und Grenzüberschreitungen aller Art belebt, verdient uneingeschränkten Respekt. Von seinen Qualitäten als Musiker ganz zu schweigen. Dass er aus gängigen Repertoiregleisen und Programm-Konzepten ausbrechen will, spricht für ihn. Dass er dabei bisweilen euphorisch nach der Devise „was nicht passt, wird passend gemacht“ vorgeht, sei akzeptiert.

Frühlingsfest nennt er seinen „multimedialen Abend“ in der Klosterbasilika Knechtsteden, an dem er besonders viel beweisen will. Die Erinnerung an zwei bisher kaum zur Kenntnis genommene Kantaten von Georg Philipp Telemann nimmt man dankbar zur Kenntnis. Dass der vierteilige Kantatenzyklus Die Tageszeiten durch drei instrumentale Solo-Stücke der prominenten zeitgenössischen Komponistin Rebecca Saunders zergliedert wird, ist gut gemeint. Aber die von Max in Vorgesprächen gepriesenen Berührungspunkte zwischen Telemann und Saunders wollen sich nicht so recht erschließen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Tageszeiten bilden auch die Grundlage für eine multimediale Aufbereitung durch den Video-Künstler Valerij Lisac mit Schülerinnen und Schülern des Kunstleistungskurses der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule aus Dormagen. Damit will Max junge Leute für die Alte Musik begeistern. Mit der Schülergruppe ist es ihm für die Zeit des Projekts gewiss gelungen. Aber die schön anzusehenden Farbkompositionen und Filmeinblendungen aus Kriegen und Festen aus barocker Zeit lassen nicht erkennen, ob die jungen Leute in der viermonatigen Arbeitsphase einen tieferen und vor allem dauerhaften Zugang zu dieser Musik gefunden haben.

Foto © Katrin Ackers

Hermann Max nimmt in diesem Zusammenhang das Wort „begeistert“ oft in den Mund und spielt sich bisweilen als Super-Pädagoge auf. Das ist sein Recht. Doch sollte er auf abfällige Bemerkungen gegenüber den Lehrern an allgemeinbildenden Schulen verzichten. Die müssen schließlich ganze Schülergruppen – und nicht nur einen überschaubaren Leistungskurs – über Jahre zum Schulabschluss bringen und können sich dabei nicht so leicht über die überbordenden bürokratischen Direktiven der Schulaufsicht hinwegsetzen, wie er sich das vorstellt. Und wenn man sieht, dass sich der Altersdurchschnitt des Publikums beim Frühlingskonzert nicht wesentlich von dem vergleichbarer Veranstaltungen in nah und fern abhebt, wird auch in Knechtsteden pädagogisch nur mit Wasser gekocht.

Die Videobotschaften auf der transparenten Leinwand, hinter der die vier Vokal- und drei Instrumentalsolisten sowie die Musiker des Instrumentalensembles la festa musicale schemenhaft erkennbar blieben, führen zur totalen Abdunkelung der Basilika. Da kann Moderator Thomas Höft vor der Aufführung mit Engelszungen das Interesse auf die Feinheiten des Librettos richten. Im Dunkeln kann man es nicht lesen und in der halligen Akustik des Kirchenraums auch nicht verstehen.

Die drei Instrumental-Intermezzi von Rebecca Saunders führen, auch wenn anders gemeint, ein eigenes Leben. Mit Marco Blaauw an der Doppeltrichtertrompete und dem Kontrabassisten Florentin Ginot waren Spezialisten des Kölner Ensembles MusikFabrik am Werk, mit dem Cellisten ein Solist des Pariser Ensembles Intercontemporain. Und die fächern die klanglichen und spieltechnischen Raffinessen der Stücke mit stupender Souveränität auf. Allerdings entspricht die Länge der drei Stücke in etwa der der vier Solo-Kantaten des Zyklus‘, so dass die Musik Telemanns an Gewicht verliert und der Abend einen recht zähflüssigen und disparaten Abschluss findet.

Die Kombination der Frühlingskantate Alles redet itzt und singet mit den Tageszeiten macht Sinn. Beides sind Lobgesänge der Schöpfung Gottes. Und die filigrane Darstellung, mit der Telemann etwa im Frühlingsstück die Gesangskünste der Nachtigall nicht nur vokal, sondern auch instrumental aufbereitet, lässt das Werk wie einen Ahnen der 80 Jahre später entstandenen Schöpfung Haydns erscheinen. Originell auch die Gliederung der vier Tageszeiten in vier Solo-Kantaten, von denen jeder Teil einer Singstimme vom Sopran für den Morgen bis zum Bass für die Nacht zugeordnet wird.

Hermann Max versteht es auch an diesem Abend, seine Begeisterung für die Werke auf die versierten Musiker des la festa musicale zu übertragen. Seine reichen Erfahrungen und Kenntnisse in Sachen historischer Aufführungspraktiken nutzt er, um die Frische und Farbigkeit der Musik herauszustellen. Dafür steht ihm ein verlässliches Solistenensemble zur Verfügung, das allerdings bisweilen in intonatorische Konflikte mit dem Orchester gerät.

Davon ist besonders deutlich die an sich vorzügliche Sopranistin Veronika Winter in ihrem großen Part in der Frühlingskantate betroffen. Ihr zur Seite steht in dem knapp gebauten Werk mit Christos Pelekanos ein hell tönender Bass mit einem etwas matten Timbre. Die Altistin Margot Oitzinger und der Tenor Daniel Johannsen ergänzen das Ensemble in den Tageszeiten ohne Fehl und Tadel.

Das Publikum in der nicht ganz voll besetzten, aber auch sehr großräumigen Basilika des Klosters Knechtsteden hält den langen und teilweise langatmigen Abend mit respektheischender Geduld und Aufmerksamkeit durch.

Pedro Obiera