Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

La Grande Chapelle eröffnet die Tage Alter Musik in Herne. - Alle Fotos © Thomas Kost/WDR

Aktuelle Aufführungen

Von der Jungfrau Maria und dem Bischof Ludger

KULT
(Tage Alter Musik in Herne)

Besuch am
12./13. November 2015
(Einmalige Aufführungen)

 

Tage Alter Musik in Herne,
Kreuzkirche

Auch im 40. Jahr ihres Bestehens gehen den Tagen Alter Musik in Herne die Ideen nicht aus. Und zwar mit Konzepten, die über bloßes historisches Interesse hinaus aktueller sind, als es die Entstehungsdaten der zu hörenden Werke vermuten lassen. Richard Lorber, der künstlerische Leiter des viertägigen Festivals, stellt die neun Konzerte des diesjährigen Treffens unter das Motto „Kult“, das erstaunlich vielfältige Bereiche von tiefreligiöser Heiligen-Verehrung bis zum publicity-orientierten Starkult am Beispiel Paganinis berücksichtigt.

Die christliche Religion gab in den ersten beiden Konzerten den Ton an. Ein anschauliches akustisches Bild von der Marienverehrung in Toledo um 1600 vermittelt das spanische Gesangsoktett La Grande Chapelle unter Leitung von Albert Recasens in der Kreuzkirche, deren schlichtes protestantisches Ambiente einen deutlichen Kontrast zu den erhabenen, wie mit Altgold verbrämten Gesängen aus den Federn bedeutender spanischer Meister bietet.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Toledo, um 1600 ein Zentrum des Christentums, mehrfach als „das spanische Rom“ bezeichnet, feierte das Fest der unbefleckten Empfängnis Mariens in seiner prächtigen Kathedrale besonders intensiv und aufwändig. 15 zu diesem Anlass entstandene Werke von Tomás Luis de Victoria, Francisco Guerrero, Bernardino di Ribera und anderen stellt Recasens zu einer imaginären, in dieser Zusammenstellung fiktiven Messfeier zusammen. Gleich der eröffnende Hymnus Ave Maris Stella des Komponistengespanns de Victoria und de Vivanco vermittelt einen plastischen Einblick in die Schönheit der Musik und die Qualität des Ensembles.

Albert Recasens - Foto © Thomas Kost/WDR

Stilistisch bewegen sich alle Kompositionen im Dunstkreis der römischen Vokalpolyphonie im Gusto Palestrinas. Allerdings mit interessanten Varianten, indem auch venezianische Einflüsse der Mehrchörigkeit und in einigen Villanescen tänzerische Elemente Eingang fanden, womit sich Toledo damals weltoffener zeigte als die römische Zentrale.

Das Gesangsensemble La Grande Chapelle besticht durch klangliche Ausgewogenheit, Wärme und Leuchtkraft. Die Zusammensetzung aus zwei weiblichen Sopranistinnen, zwei Altisten, zwei männlichen Tenören und zwei tiefen Stimmen führt zu einem weichen, entspannten Klangbild, das trotz der höhenbetonten Besetzung ausgesprochen homogen wirkt. Die hohen Stimmen verleihen den Gesängen einen silbrigen Glanz, die tiefen Partien werden in einigen Stücken durch eine dezente Orgelbegleitung gestützt. 

An gleichem Ort geht es am nächsten Tag erheblich asketischer zu. Vox Werdensis, die zwölfköpfige, von Dominik Schneider geleitete Schola der Folkwang-Universität Essen, erinnert an den um 742 geborenen und später heiliggesprochenen Bischof Ludger, der unter anderem das Kloster in Werden gründete, einem Stadtteil von Essen. Nicht nur aus diesem Grund erwuchs eine große Ludger-Verehrung, die im elften und zwölften Jahrhundert in einem umfangreichen Offizium ihren Höhepunkt fand. Also einer Sammlung von Gesängen für die Messe und andere religiöse Verrichtungen. Dabei handelt es sich ausschließlich um Neukompositionen und nicht um die Übernahme alter gregorianischer Gesänge. Für den nicht spezialisierten Hörer hörte sich der 70-minütige Vortrag der exzellent geschulten Vox Werdensis freilich sehr „gregorianisch“ an, auch wenn Dominik Neuner in einem Kommentar auf wichtige Änderungen im Wort-Ton-Verhältnis hinweist. Der Eindruck von stilistischer Gleichförmigkeit mag freilich auch am Vortrag liegen, der wenig rhythmische und klangliche Varianten oder Verzierungstechniken aufweist, also die möglichen Gestaltungsmöglichkeiten bei weitem nicht ausschöpft. Allenfalls der Einsatz von Solo-Instrumenten sorgt für etwas Abwechslung. Dazu gehören historische Repliken eines Glockenspiels, einer Drehleier, verschiedener Traversflöten und einer Quinterne, einer fünfsaitigen Vorform der Gitarre.

Insgesamt ein gelungener Einstand für das Festival, das noch bis zum kommenden Sonntag andauert und mit der konzertanten Aufführung der Oper Camilla von Giovanni Bononcini abschließt.

Pedro Obiera