Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Alle Fotos © Thomas Kost/WDR

Aktuelle Aufführungen

Feine Flötentöne

KULT
(Tage Alter Musik in Herne)

Besuch am
15. November 2015
(Einmalige Aufführung)

 

Tage Alter Musik in Herne,
Kulturzentrum

Wenn ein renommiertes, hochklassiges Kulturfest in der alten Industriestadt Herne mitten im Ruhrpott sein 40-jähriges Jubiläum feiern kann, ist das schon bemerkenswert. Seit 1976 haben sich die Tage Alter Musik in Herne den Ruf erworben, den „verschiedensten Kulten, Riten, Moden und Idolen in der Musik“ nachzuspüren. An unterschiedlichsten Aufführungsorten und mit durchweg international renommierten Künstlern und Ensembles erreicht dieses Festival inzwischen ein internationales Publikum. So kann man das Motto „Kult“ ruhig auch auf diese musikalischen Festtage selbst beziehen, die Kennerkreise und Künstler nach Herne locken und in der Szene längst Kultstatus genießen.

Beim diesjährigen Abschlusskonzert stehen Gesangstexte auf dem Programm, die der Barock-Oper Camilla von Giovanni Bononcini und Nicola Haym entstammen. Diese Oper, die 1696 in Neapel zur Premiere kam, als „italo-englischen Opernhit“ zu bezeichnen, ist etwas gewagt, um nicht zu sagen irreführend. Sujet, Komposition und Klänge von Bononcini sind so stark der Barockmusik und dem künstlerischen Leben an den Adelshöfen des damaligen Europas verbunden, dass sie sich diesem Vokabular eher entziehen und eine „Modernisierung“ auch nicht nötig haben.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Bononcini, vielfach als völlig unterschätzter Komponist und Musiker der Barockmusik bezeichnet, erzählt in Camilla die höfische Liebesgeschichte zwischen dem Prinzen Prenesto und der Schäferin Camilla. In drei Akten entwickelt sich diese durch viele Fährnisse bedrohte Geschichte, um schließlich in einer Doppelhochzeit glücklich zu enden. Ob arm oder reich, Diener oder Herr, Schwarzer oder von weißer Hautfarbe – für die Liebe spielen alle diese Merkmale keine Rolle. Kein Wunder, dass dieses Werk zu einem „Opernhit“ ihrer Zeit wird – und sicher ein Wagnis, auf die vielen dramaturgischen Möglichkeiten einer szenischen Darstellung bei einer konzertanten Aufführung zu verzichten.

Foto © Thomas Kost/WDR

Doch zu den Herner Festspielen treffen sich stets hervorragende Musiker. Die Riege ausgewiesener Gesangssolisten und das vor allem in Alter Musik bestens eingeführte 16-köpfige Elbipolis-Barockorchester Hamburg sind Garanten für eine musikalisch hochwertige Aufführung im akustisch bestens eingerichteten Kulturzentrum Herne. Und so erklingt die Ouvertüre als langsamer Tanzsatz in feinen, filigranen Passagen, bei denen man glaubt, den Hof tanzen zu sehen – bis die Holzbläser das Tempo steigern und die Dramatik erhöhen. In den weiteren Sätzen stellen sich die Solisten gesanglich vor und überzeugen mit ausgezeichneten Stimmen, unter denen besonders die Sopranistinnen Julia Sophie Wagner als Camilla und Marysol Schalit als Lavinia und der als Vertretung eingesprungene Bassist Simon Robinson in der Rolle des Königs Latinus gefallen.

In der langsam sich entwickelnden Handlung des ersten Aktes mit einem gelungenen Flötensolo und zahlreichen Wechselgesängen und Duetten zwischen den Stimmen hat die Musik oft rezitativen Charakter und verzichtet auf größere Akzente. Immer wieder sind die Solisten – auch die Männerstimmen – durch schnelle Koloraturen gefordert, die gut gemeistert werden. Erfreulich, dass alle Stimmen zunehmend an Klang gewinnen und die musikalische Spannung steigern können.

Die den historischen Instrumenten geschuldete und zur Barockzeit auch übliche zurückgenommene Spielweise des Orchesters bringt nicht den gewohnt vollen Klang eines großen Opernorchesters, sondern zeichnet die Stimmungen und Gefühle in zarten, filigranen Linien und Farben, die eher Kammermusik-Charakter haben. Häufig setzt Bononcini Flötenpassagen zur Akzentuierung besonders lebhafter oder emotionaler Sentenzen ein. Diese weiche, fast pastellfarbig anmutende Musik geht erst zum Schluss in die ausgelassenere Festmusik des doppelten Happyends über.

Der Musikabend, mit dem die diesjährigen Tage Alter Musik in Herne zu Ende gehen, bringt vor allem Barockliebhabern eine heute selten gespielte Komposition zum Klingen, das Barockmusik at it´s best präsentiert. Er fordert aber auch drei Stunden volle Konzentration und bewusstes Hören, zu dem nicht alle Besucher bereit sind. Beim Schlussapplaus sind sich die Zuhörer einig, einen ausgefallenen Musikabend mit ausdrucksstarker Barockmusik erlebt zu haben. Es bedankt sich bei den Solisten und einem besonders beklatschten Orchester mit minutenlangem Beifall. Mancher von ihnen wird beim Nachhauseweg versucht haben, sich eine lebhafte Szene auf der Bühne vorzustellen … manchmal fehlte sie doch.

Horst Dichanz