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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Arno Declair

Aktuelle Aufführungen

Notwendige Zauberflöte

DIE ZAUBERFLÖTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
21. September 2016
(Premiere)

 

 

Hamburgische Staatsoper

Eine neue Zauberflöte in Hamburg – wirklich notwendig? Immerhin war die letzte, zugegeben hochbetagte Produktion von Achim Freyer aus dem Jahre 1982 eines der wenigen Repertoirestücke des Hauses, die die unendlichen Fehlschläge der vorangegangenen Intendanz überdauerte und vorzeigbar blieb. Muss also ausgerechnet diese Produktion ersetzt werden?

Intendant George Delnon setzt dabei auf Jette Steckel, eine hochgelobte, gleichwohl noch junge Regisseurin des Schauspielfachs, die schon vielerorts im deutschsprachigen Raum erfolgreiche Produktionen, aber auch einzelne Operninszenierungen kreiert hat, sowie ein junges Sängerensemble unter der Leitung von Jean-Christophe Spinosi. Es gibt viele Rollendebüts und Erstauftritte am Haus.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Steckel versteht es, die disparaten, widersprüchlichen Elemente des Werkes in einen ungemein klar strukturierten Rahmen zu stellen. Sie lässt uns die Handlung in der Rückbesinnung Taminos erleben, der sein eignes Leben, seine Identitätssuche, seine Prüfungen, Abenteuer, Irrungen und die ewige Suche nachvollzieht und betrachtet.

Foto © Arno Declair

Die Kostüme von Pauline Hüners, das Bühnenbild von Florian Lösche und die aufregende Lichtregie mit vielerlei LED-Effekten von Paulus Vogt zusammen mit den bewegten und bewegenden Videoeinspielungen von Alexander Bunge versetzen unter anderem mit Hilfe von ganzen Lichtvorhängen die Bühne in einen immer spannenden Erlebnisorbit, in dem die fantastischen Elemente des Werks außerordentlich kurzweilig und dramaturgisch sinnhaft auf die Bühne kommen und fast ganz auf traditionelle Bühnenbauten verzichten kann. Das erlaubt schnellste Szenenwechsel und ist in Ästhetik und Erscheinungsbild für alle Altersgruppen eine moderne, zeitgemäße Umsetzung.  Eine äußerst geschlossene Arbeit des gesamten Leitungsteams.

Die Königin der Nacht und Sarastro als Gegenspieler alter Mächte, die für die Einfluss-Sphären der Eltern, Gebote, Verbote, Ermahnungen, Religionen, oder Ideologien stehen, zerren an den jungen Menschen, die ihre eigene Identität erst finden müssen. Ausgestattet werden Tamino und Papageno mit den Zaubermitteln Flöte und Glockenspiel, hier in Form leuchtend roter Pfeile, deren Ausrichtung und Wegweisung allerdings von den Jungen selbst überhaupt erst einmal mit viel Mühen gefunden werden müssen. Ein einfaches, klares Bild der Suche und mühsamen Selbstfindung.

Auch für das hohle Pathos Sarastros und die Verzweiflung der Königin in ihrer Verleugnung von Natur und Mutterschaft findet das Team eingängige und eindrucksvolle Bilder. Die drei Damen sind in der Eröffnungsszene Ordensschwestern, die die den Knaben Tamino umgeben, hier noch ganz jung, mit großer Freude am Eis-Essen. Der Prozess der lebenslangen Suche und Prüfungen ist von Phasen der Verzweiflung geprägt, verliert aber nie die Hoffnung und Zuversicht der Jugend. Beim Bestehen der Prüfungen und Aufnahme des Paares in die Gemeinschaft ereignet sich dann jedoch der große Bruch: Tamino und Pamina sind bei Erreichen dieses Lebensstadiums plötzlich stark gealtert. Sarastro hingegen erscheint vollkommen gelöst, beschwingt und beinahe augenzwinkernd, zusammen mit einer laut lachenden Königin der Nacht, jetzt beide fast wie in nie gekannter Zweisamkeit. Alles „nur“ eine Inszenierung auf dem Weg der Selbsterkenntnis? Der alte Tamino scheint das in aller Ruhe zu betrachten und rückwirkend anzunehmen.  Der Weg der Selbsterkenntnis und die Findung der eigenen Identität muss von allen Menschen unausweichlich selbst durchlaufen oder gar durchlitten werden.

Dem Gelingen des Konzepts kommt zugute, dass die Aufführung mit jungen Sängern und Schauspielern arbeitet: Dovlet Nurgeldiyev als Tamino spielt wie ein junger Mann von heute und lässt einen unangestrengten, ausgesprochen klaren Tenor erstrahlen. Christina Gansch als Pamina ist besonders anrührend in ihren Verzweiflungsszenen, in denen sie trotz aller Not ihren Glauben an Taminos Liebe nie verliert – sie verkörpert die Entwicklung der Rolle gesanglich und darstellerisch hingebungsvoll. Für beide Sänger sind es wahrlich gelungene Rollendebüts.

Andrea Mastroni als Sarastro und Christina Poulitsi als Königin der Nacht treten zum ersten Mal am Haus am Dammtor auf. Poulitsi begeistert mit ihren exakt sitzenden Koloraturen und dem organischen Aufbau ihrer großen Arien das Publikum. Eine schauspielerische, sprachliche und gesangliche Extraleistung weiß Jonathan McGovern als Papageno zu bieten, später wunderbar begleitet von seiner Papagena der Maria Chabounia. Monostatos ist mit beweglicher Stimme Dietmar Kerschbaum. Die Damen werden exzellent von Iulia Maria Dan, Nadezhda Karyazina und Marta Swiderska verkörpert. Der Sprecher von Alin Anca überzeugt ebenso wie Christian Juslin und Bruno Vargas als Geharnischte mit sonorer, aber ebenso flexibler und verständlicher Stimme.     

Die drei mehr als überzeugenden Knaben kommen von der Chorakademie Dortmund und gemeinsam mit dem gut einstudierten Chor der Hamburgischen Staatsoper unter der Leitung von Eberhard Friedrich runden sie die Ensembleleistung eindrucksvoll ab.

Jean-Christophe Spinosi führt einfühlsam das Philharmonische Staatsorchester. Tempo und Duktus des feinen, durchsichtigen Orchesterspiels unterstützen eine sprachorientierte, mit fast jedem Wort verständliche Gesangs- und Darstellungskultur. Der Übergang von Gesang zu Sprache bei den klug gekürzten Texten ist so organisch wie sonst nie bei diesem Werk. Das gelingt nur, weil Spinosi mit seinen Sängern und Orchestermusikern atmet und sie physisch und durch seinen Enthusiasmus eindeutig mitzureißen versteht.

Großer Applaus für das gesamte musikalische Team, viele Bravorufe vor allem für Dovlet Nurgeldiyev, Christina Poulitsi, Christina Gansch und Jonathan McGovern wie auch Spinosi und das Orchester.

Eine nicht zu überhörende, wütende Minderheit buht das Regieteam aus, Jette Steckel an der Spitze. Schon nach dem ersten Akt gibt es den Zwischenruf „Fälschung“. Die Produktion wird dennoch von der Mehrheit positiv aufgenommen. Vielleicht waren einige Zuschauer von der Lichttechnik alsbald so ermattet, dass sie keine Gelegenheit hatten, die Stringenz des Konzeptes zu erkennen.

Der Applaus bei der zeitversetzten Live-Übertragung unter freiem Himmel an der Alster soll deutlich herzlicher ausgefallen sein. Die Staatsoper muss noch mehr versuchen, die Produktion möglichst vielen Jugendlichen zugänglich zu machen. Die werden sich wiedererkennen. Mit dieser Inszenierung kann man die Jugend ansprechen – dort gehört sie hin.

So hat diese Produktion dann doch ihre Notwendigkeit und ist ein würdiger und zeitgemäßer Anschluss an die vorangegangene Realisierung von Achim Freyer.

Achim Dombrowski