Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Philip Artus

Aktuelle Aufführungen

Die Abschaffung des Todes

DER KAISER VON ATLANTIS
(Viktor Ullmann)

Besuch am
25. November 2016
(Premiere am 17. November 2016)

Junges Forum Musik + Theater der
Hochschule für Musik und Theater
Hamburg

Viktor Ullmanns hat sein Werk Der Kaiser von Atlantis unter widrigsten Umständen im Konzentrationslager Theresienstadt geschrieben. Das Werk ist im KZ auch geprobt, jedoch nie aufgeführt worden. Es ist eine Allegorie auf das im 20. Jahrhundert entwickelte, perfektionierte industrielle und maschinell-effiziente Sterben.

So sehr auch der Umstand, dass die Handlung und selbst Ullmanns Ermordung unmittelbar im Hitlerdeutschland real waren, ist die allegorische Sicht, welche die Systematiken hinter dem Horror aufgreift, der Kern der Botschaft und Qualität des Werkes. Der Mensch erkennt sich im anderen nicht mehr. Es herrscht eine industriell verselbstständigte Mordmaschinerie der Diktatur. Der Tod in seiner dem Individuum natürlich entgegentretenden und gerecht werdenden Form ist nicht mehr existent, und nur seine Wiederkehr kann Erlösung bringen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Produktionsdramaturg Franz-E. Meyer-Herder veröffentlicht dazu einen beispielhaft prägnanten und in seiner ungewöhnlichen Klarheit bewegenden Beitrag im Programmheft dieser Produktion, ein Teil dieser sehr gelungenen Arbeit des Jungen Forum Musik + Theater der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.  

Foto © Philip Artus

Das junge Sängerteam unter der Regie von Aileen Schneider vermag den holzschnittartigen, auch dem Kabarett entlehnten Darstellungsformen mit magischer Intensität gerecht zu werden. Die gleichnishaften Darstellungsformen und die eigene Faszination am Ausdruck gleichsam maschinenhaft- funktionierender Mimik, Körper-, Gestensprache sind mit einer gezügelten erotischen Lust am eigenen Auftritt und Ausdruck umgesetzt. Der Zusammenprall dieser Sphären vermittelt fortlaufend die Gefahr einer sich potenziell in eigener Dynamik verselbstständigenden Gestik, die nicht nach ihrer Verantwortung fragt und in tödliche Realität umschlagen kann. Gerade in dem fast noch unschuldigen, gleichwohl kraftvollen Spiel der jungen Darsteller erscheint diese Janusköpfigkeit so beklemmend. Es gelingt eine großartige Umsetzung des Werkkerns.

Die Bühne von Lisa Marie Damm, in der das Orchester sichtbar und zentral in einer treppenartigen Konstruktion positioniert ist, die farblich und stofflich fantasievollen und atmosphärisch stimmigen Kostüme von Florian Parkitny, das Licht von Phil Kong sowie die zurückhaltenden, aber sinnhaft-wirkungsvollen Videoelemente von Simon Janssen sind gleichberechtigte und wirkmächtige Komponenten dieser so dichten Produktion.

Die sichtbare Anordnung des gut ein Dutzend Musiker umfassenden Orchesters in der Mitte der Bühne eröffnet exzellente Voraussetzungen für die Hör- und Erlebbarkeit des facettenreichen Orchesterspiels. Unter der Leitung von Yu Sugimoto werden die Klangwelten der seinerzeit in Theresienstadt verfügbaren Besetzung, unter anderem bestehend aus einem Streichquintett, Altsaxophon, Trompete, Banjo und Harmonium, mit vielfach eindrucksvollen solistischen Anteilen vorgetragen. Eine große Vielfalt stilistischer Elemente von Mahler, Weill oder auch der Chromatik der Zweiten Wiener Schule kommt zu Gehör.

Ein durchweg überzeugendes, sechsköpfiges Solistenensemble mit teilweise erfahrenen Praktikern und Mitgliedern aus unterschiedlichen Ausbildungsstufen der Hochschule setzt die nicht einfachen Partien darstellerisch und gesanglich mehr als überzeugend um. Dasselbe gilt auch für die hervorragenden solistischen Leistungen im Solospiel des Orchesters.

Das Publikum im gut besuchten Theaterquartier Gaußstraße, einem der Ausweich-Spielstätten der Hochschule während des Umbaus ihrer eigenen Räumlichkeiten, applaudiert allen Beteiligten der Dernière dieser Inszenierung langanhaltend und mit großem Enthusiasmus, insbesondere auch der anwesenden Regisseurin Aileen Schmidt.

Ein denkwürdiger Abend, der in Erinnerung bleibt.

Achim Dombrowski