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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Pedro Malinowski

Aktuelle Aufführungen

Gaudi im Revier

ROCKY HORROR SHOW
(Richard O'Brien)

Besuch am
26. Februar 2016
(Premiere am 20. Februar 2016)

 

 

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen

Als Richard O’Briens Kult-Musical The Rocky Horror Show 1973 das schräge Licht einer noch schrägeren Welt erblickte, sorgte die „sexuelle Revolution“ der 68-er und Hippie-Bewegungen für eine Befreiung von einigen, wenn auch nur einigen verklemmten Moral-Vorstellungen. Das skurrile Treiben im Labor des durchgeknallten, lüstern-schwulen Wissenschaftlers Dr. Frank N. Furter hatte noch Explosivkraft. Heute treiben Herren in Strapsen und High-Heels kaum noch jemandem die Schamesröte ins Gesicht. Und Franks Ausgeburten eines kranken Wissenschaftlerhirns werden vom alltäglichen Reality-Wahnsinn stündlich übertroffen. Vom gesellschaftskritischen Schwung des Musicals ist heute nicht mehr viel zu spüren. Gern hat es das Publikum dennoch. So gern wie eine Gaudi zum Karneval.

Diese Erwartung erfüllt das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier in vollen Zügen. Zur Erinnerung die Handlung in Kürze: Ein Ufo landet auf der Erde, bestückt mit Lebewesen, die ständig an Sex denken, sich aber nicht mehr fortpflanzen, sondern nur noch klonen können. In solch eine Kopier-Szene verirrt sich ein schüchternes, biederes Liebespaar auf seiner Verlobungsreise und erlebt, wie der von Frank frisch geschöpfte Lustknabe Rocky das Licht der Welt erblickt. Und damit eröffnet sich ein Reigen skurriler Szenen und Abenteuer, denen Reitmeier vor allem auf ihren publikumswirksamen Zahn fühlt. Klamauk inbegriffen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dass Bühnenbildner Michael D. Zimmermann Franks Labor in einer Industriekulisse ansiedelt, ist nicht nur als Referenz vor dem Revier-Publikum zu verstehen, sondern entspricht auch O’Briens Libretto. Dass Andreas Meyer recht schrille Kostüme kreierte und die Techniker die Lichtorgeln und Nebelmaschinen zum Glühen bringen, das gehört sich für ein zünftiges Bühnenspektakel dieser Art.

Bele Kumberger als Janet und Christian Funk als Rocky - Foto © Pedro Malinowski

Auch die sechsköpfige Band unter Leitung von Wolfgang Wilger lässt es krachen. Vor allem lautstark, wobei die Balance zwischen Combo und Gesangsstimmen nicht immer stimmt. Immerhin verbreiten die Musiker so viel Stimmung, dass das Publikum auf seine Kosten kommt. Spielfreude und Engagement muss man allen Akteuren bescheinigen. Auch wenn die Choreografien von Sean Stephens nicht von gängigen Musical-Standards abweichen und eher harmlos als schrill über die Rampe kommen. Auch wenn die Gesangsdarbietungen im Wesentlichen ein durchschnittliches Level nicht überschreiten.

Dass Henrik Wager als Frank N. Furter als klischeehafte Tunte agieren muss und wenig Glamour und schillernde Dämonie ausstrahlt, liegt an dem biederen Regie-Konzept. Der skurrile Diener Raff-Raff ist mit dem kleinwüchsigen Publikumsliebling Rüdiger Frank vortrefflich besetzt, trotz seines bescheidenen Gesangsniveaus. Christian Funk verkörpert als Homunculus Rocky ein Fitness-Modell mit Traummaßen. Und die übrigen Rollen passen sich dem Konzept auf recht gutem Niveau an.

Ein wichtiger Akteur bei dem Kultstück ist natürlich das Publikum. Das kleine Haus des Musiktheaters im Revier bringt die Besucher in enge Tuchfühlung zur Bühne. In Kostümen erscheinen zwar nur wenige. Die Rituale werden aber konsequent durch- und vollzogen. Reis und Toasts als unkontrollierte Wurfmunition sind zwar zum Schutz der Darsteller verboten. Dafür ist eine Fan-Tüte mit ungefährlichem Equipment käuflich erhältlich samt Wasserpistolen, Konfetti und Leuchtstäben. Für die über 30 geplanten Aufführungen wurde ein Vorrat von 5000 Tüten geordert, der sich schnell aufstocken lässt. In der zweiten Aufführung wird das Angebot reichlich genutzt und den Putzkolonnen viel Arbeit hinterlassen. Der Stimmung tut das Reglement jedenfalls keinen Abbruch. Auch die Begründung ist nachvollziehbar. Dass Reitmeier in einem Vorgespräch ausgerechnet beim leichtfertigen Umgang mit Reis als Wurfgeschoss das soziale Gewissen plagt, wo es doch an allen Enden der Welt am Nötigsten fehle, wirkt angesichts der Produktion freilich ziemlich deplatziert.

Begeisterung allerorten. Gelsenkirchen kann sich über einen Publikumsmagneten freuen.

Pedro Obiera