Opernnetz

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Foto © Pedro Malinowski

Aktuelle Aufführungen

Die richtige Schublade für jeden Effekt

DER FLORENTINER HUT
(Nino Rota)

Besuch am
19. November 2016
(Premiere)

 

 

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen

Dem Spielplan des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier kann man populistische Anbiederung beileibe nicht vorwerfen. Dafür setzt das Haus zu starke Impulse, in der Oper nicht nur mit ihrem beeindruckenden Britten-Zyklus, im Ballett mit der vorbildlichen Arbeit Bridget Breimers. Da darf zum Jahresende auch einmal in die Unterhaltungskiste gegriffen werden. Und zwar zu einer amüsanten Rarität ohne Tiefgang, aber nicht ohne Esprit. 

Der Name Nino Rota weckt Erwartungen. Freilich eher auf der Leinwand als auf der Opernbühne. Wenn das Musiktheater im Revier jetzt mit dem Florentiner Hut an eine der zehn Opern des legendären Filmkomponisten erinnert, sind allerdings Ähnlichkeiten mit Rotas Filmklassikern, ob La Strada oder Der Pate, nicht zu befürchten. Denn die flotte Oper nach einer noch flotteren Vorlage des Komödienroutiniers Eugène Labiche ist 1955 entstanden, also vor der glänzenden Hollywood-Karriere, als Rota, unterstützt von Toscanini, noch von einem „seriösen“ Komponisten-Dasein träumte.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die kurzweilige Oper lässt bereits erkennen, was den Erfolg des späteren Filmkomponisten ausmacht. Brillante Kenntnisse der gesamten Musikgeschichte, ein perfektes Handwerk, die Fähigkeit, jedes theatralische Ereignis prägnant zum Ausdruck zu bringen und das Gespür für bühnenwirksame Effekte. Eine eigene Handschrift ist nicht unbedingt zu erkennen. Dafür aber Anleihen an die große Tradition der italienischen Buffa-Oper von Rossini über den leichten Konversationston von Verdis Falstaff und Puccinis Gianni Schicchi bis hin zu den neoklassizistischen Spielereien eines Ermanno Wolf-Ferrari. Selbst Verdis Eifersuchtsorgien aus dem Otello sind nicht weit. Rota greift für jede Situation in die richtige Schublade. Was will man mehr von einem Filmkomponisten?

Foto © Pedro Malinowski

Für einen dauerhaften Erfolg in der Oper dürfte das zwar nicht reichen. Doch Labiches überdrehte Hochzeits-Komödie Der Florentiner Hut verfehlt auch in Rotas Vertonung nicht ihre Wirkung. Vergnügliche zweieinhalb Stunden sind garantiert. In Köln würde man angesichts des Stoffs von einem „Divertissementchen“ sprechen.

Die Story um einen banalen Strohhut, der eine ganze Hochzeitsgesellschaft aus der Fassung und an den Rand der Verzweiflung bringt, ist, wie es sich für eine Buffa-Oper gehört, so verwickelt gestrickt wie nur möglich. Dass man mit der vorgeschalteten deutschen Erstaufführung von Rotas zehnminütiger Mini-Oper Die Fahrschule die Verwirrung noch ein wenig steigert, trübt das Vergnügen nicht. Regisseurin Sonja Trebes hat die zärtlichen Unterrichtsstunden des jungen Fahrlehrers Fadinard geschickt mit der Haupthandlung verknüpft. Allerdings frisst diesmal nicht Fadinards Pferd, wie im Original, den Hut, was die verheiratete Anaide in arge Bedrängnis bringt. Der Hut wird durch einen Eifersuchtsstreit zwischen den Fahrschülerinnen Anaide und Elena zerstört. Die mafiöse Sippe Elenas zwingt Fadinard unmissverständlich zur Hochzeit mit Elena. Doch Anaide und ihr Liebhaber Emilio zwingen Fadinard, einen Ersatz für den kompromittierenden Strohhut zu suchen. Die Turbulenzen um die Kopfbedeckung führen die Hochzeitsgesellschaft durch halb Paris inklusive edler Salons und trister Gefängniszellen, bis es nach urkomischen Verwicklungen zur Eheschließung mit der mittlerweile hochschwangeren Elena kommen kann.

Trebes gelingt eine ausgewogene Balance zwischen subtiler und derber Komik. Dabei vermag sie auch den Chor dynamisch zu führen, gibt jeder Figur ein unverkennbares Profil und sorgt mit den stillen und langsamen Auftritten des tauben Onkels Vézinet für ein paar Ruhepunkte, wie sie überhaupt das Spieltempo der Aufführung klug steuert. Die Nähe zum Volkstheater ist greifbar, unterstützt durch die einfach anmutenden Bühnenbilder, die aber im Detail viel Feinarbeit erkennen lassen und in ihrer flexiblen Mobilität rasche Szenenwechsel ermöglichen. Und Julia Becker schöpft mit ihren aufwändigen Kostümen aus dem Vollen. Dem Auge wird also einiges geboten.

Das Ohr stellt Thomas Rimes am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen mit einer leichtfüßigen Interpretation der etwas dünnblütigen Partitur zufrieden. Ein besonderes Lob verdient der Chor des Musiktheaters angesichts der vielseitigen Anforderungen. Dass Gelsenkirchen über ein exzellentes Ensemble verfügt, bestätigt sich aufs Neue, wobei herausragende Einzelleistungen im Hintergrund bleiben.

Die anspruchsvollste und beste Leistung ist auf jeden Fall Ibrahim Yesilay in der Rolle des Fadinard zu verdanken, der alle Qualitäten eines jugendlichen Tenors in sich vereinigt. Bele Kumberger als seine Braut Elena erreicht nicht ganz das Niveau. Ihr Sopran klingt in den Höhen zu stumpf. Piotr Prochera als Liebhaber Emilio und Anke Sieloff als untreue Gattin Anaide unterstreichen das hörenswerte Grundniveau der Aufführung, dem William Saetre durch seine komödiantische Glanzleistung als Onkel Vézinet noch ein Schaumkrönchen aufsetzt.

Ein rundum vergnüglicher Abend ohne jeden Tiefgang. Doch wie gesagt: Nach anspruchsvollen Höhepunkten des Hauses mit vorbildlichen Britten-Produktionen sei es dem Theater und dem Publikum gegönnt, das entsprechend dankbar reagiert.

Pedro Obiera