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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Barbara Aumüller

Aktuelle Aufführungen

Auf den Zahn gefühlt

DER GOLDENE DRACHE
(Peter Eötvös)

Besuch am
9. Dezember 2016
(Premiere am 29. Juni 2014)

 

 

Oper Frankfurt, Bockenheimer Depot

Peter Eötvös zählt zur ersten Riege zeitgenössischer Komponisten für die Bühne. Der rührige Komponist und nicht minder omnipräsente Dirigent gilt als Tausendsassa und kann sich über internationale Präsenz nicht beklagen. Auch seine 2014 uraufgeführte Schimmelpfennig-Adaption Goldener Drache war ein großer Erfolg bei Presse und Publikum. Die Wiederaufnahme der Uraufführungsinszenierung im Bockenheimer Depot, dem reizvollen Ambiente der Außenspielstätte der Frankfurter Oper, kann das in vielen Punkten bestätigen.

Eötvös hat sich selbst Schimmelpfennigs Theaterstück angenommen, es wesentlich gekürzt, Texte verdichtet und so ein Tableau geschaffen, das eine Carte blanche für die Regisseurin Elisabeth Stöppler war, mit der er vor der Uraufführung in engem Austausch stand und die dann gemeinsam dieses Kammerspiel mit gerade mal 5 Sängerdarstellern in insgesamt 18 Rollen zusammen generiert haben. Man darf also davon ausgehen, dass diese szenische Realisation durchaus den Absichten des Komponisten entspricht.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Schimmelpfennigs gleichnamiges Theaterstück Der Goldene Drache ist seit der Uraufführung 2009 sehr erfolgreich. Den Autor zählt man zu den derzeit angesagten seiner Zunft. Das Anliegen, ein Stück über illegale Einwanderung und deren Problematik zu schreiben, ist ehrenwert und sehr zeitgemäß. Doch mutet die Geschichte um einen illegal eingewanderten, in dem engen  China-Vietnam-Thai-Schnellrestaurant  arbeitenden kleinen Chinesen doch etwas seltsam an. Schließlich schaffen es ausgerechnet Einwanderer aus Fernost doch am besten, sich in Mitteleuropa zu integrieren und sind selten für die ständig schwelende Integrationsdebatte relevant.

Foto © Barbara Aumüller

Dieser Chinese hat höllische Zahnschmerzen, die er aufgrund seines Status nicht medizinisch behandeln lassen kann. Der Zuschauer wird Augenzeuge, wie in der Mitte des Stücks der kariöse Zahn gezogen wird. Mitarbeiter des Restaurants vollführen das dilettantisch, was letztendlich zum Verbluten des Leidtragenden führt, das sein Leben kosten wird. Eine Geschichte, die auch Gogol gefallen hätte. 

Die mangelnde Relevanz dieser Einwanderungsgruppe wirft die Frage auf, ob es hier wirklich um ein Problem von heute geht, oder vielmehr um einen Anlass eines Theaterstoffs von heute, der zwar prächtig unterhält, aber nicht wirklich aufrüttelt und einen nicht wirklich nachdenklich macht.

Trotz großen Respekts vor der Leistung aller Beteiligten verfehlt dieser Abend deswegen etwas seine Wirkung, weil das Thema der illegalen Einwanderung nicht ergreift, sondern es en passant mit Mitteln der Groteske und des Slapsticks nur antippt.

Eötvös stellte beim Komponieren des Goldenen Drachen fest, dass er nun doch ein Musiktheater und keine Kammeroper schaffen wollte. Der Unterschied könnte in der inneren Haltung zum Theatralischen liegen. Eötvös wollte lebendiges Theater schaffen. Seinen fünf Sängern verlangt er deswegen extreme schauspielerische Aufgaben auf der einen Seite und dialogisches Singen unter Vermeidung längerer arioser Verdichtungen auf der anderen Seite ab. Nur der unter den fünf hochklassigen Protagonisten besonders herausragende Bariton Holger Falk und die Sopranistin Karen Vuong dürfen am Ende des Abends Opernhaftes demonstrieren: Linien, Gefühle, Kontemplation. Ironischerweise sind das die besten und berührendsten Augenblicke des Abends.

Wenn man aber diese Eigenschaften nicht als Fundament eines überzeugenden Musiktheaterabends zugrunde liegt, ist Eötvös' Goldener Drache ein witzig ironisches und überaus unterhaltsames Werk, das schon in seiner Virtuosität gefällt. Eöstvös' Musik kann vieles: sie funkelt, schnurrt, reibt und gelegentlich imitiert sie auch Fernöstliches, langweilig ist sie nie. Der Stockhausen-Schüler ist ein erfahrener Musiktheater-Komponist  und überzeugt einmal mehr als Postmoderner, der die Avantgarde zwar kennt, ihr aber nicht mehr traut. Das ist erfrischend und macht seine Musik lebendig.

Dabei bleibt die Textverständlichkeit überdurchschnittlich hoch. Die beiden älteren Sänger, die „Frau über 60“, Mezzosopranistin Hedwig Fassbender, und der „Mann über 60“, Charaktertenor Hans-Jürgen Lazar, sowie „der Mann“, Bariton Holger Falk, alle drei schon bei der Uraufführung dabei, vermögen es überzeugend, dem Witz und der grotesken Überzeichnung gerecht zu werden. Da versteht man wirklich jedes Wort und empfindet Vergnügen an den dargestellten vielfältigen Rollen, die die drei virtuos ausspielen. Auch sängerisch können sie als Idealbesetzungen punkten. Chapeau.

Dieser Qualität werden „die junge Frau“, Sopranistin Karen Vuong, und der Tenor Ingyu Hwang als „der junge Mann“ nicht ganz gerecht. Beide übernehmen die beiden Partien neu, sind beide sängerisch auch durchaus hochklassig, aber die Textverständlichkeit erreicht nicht das Niveau ihrer Kollegen. Das wäre kein wesentliches Problem, wenn man die Produktion übertitelt hätte, wie das mittlerweile fast an jedem Stadttheater auch bei deutschsprachigen Opern geschieht. Doch Eötvös und Stöppeler wollten darauf verzichten. Die Lösung sollte sein, alle fünf Sänger in der Klangregie von Norbert Ommer zu verstärken, was aber nur bedingt funktioniert. Sprachwitz muss man verstehen, sonst ist seine Wirkung verpufft. So trübt dieses Manko unnötigerweise den ansonsten gelungenen Abend.

Stöpplers Inszenierung in der Einheitsbühne von Hermann Feuchter gefällt. Die Regisseurin bringt es fertig, 90 Minuten packendes Theater zu schaffen, das nie langweilt, sondern überdies spannend und im guten Sinne auch unterhaltsam ist. Der Bühnenhintergrund eines sicher vier Meter großen Drachens ist ein gelungener Kontrapunkt zu den sehr realistischen Settings auf der Bühne, wobei man auch mit etwas weniger Müll und Unrat hätte auskommen können. Ein besonderer Moment ist das lautlose Zurückfahren der Hinter- von der Vorderbühne in der Abschiedsarie des „Kleinen“, was einen unerwarteten, aber berührenden Raumeffekt bewirkt. Etwas gewöhnlich und zu konventionell geraten dagegen die Kostüme von Nicole Pleuler, die zwar für die 18 Rollen dienlich und praktisch sind, aber eine ästhetische Handschrift über das Übliche hinaus doch missen lassen.

In der Reihe Heimspiele, einer einmonatigen Residenz vor Ort des Ensemble Modern, kann man sich von den Qualitäten dieses hervorragenden Ensembles für moderne Musik unserer Tage einmal mehr überzeugen. Das in Frankfurt beheimatete Ensemble und Koproduzent ist der Garant für die hohe Qualität des Abends. Hier von Kontrabassklarinette bis Piccolo über Hammondorgel und ein reiches Arsenal an Schlagwerk besetzt, verfügt das 16-köpfige Ensemble in allen Bereichen über Musiker, die in der Lage sind, den hohen Anforderungen der Partitur gerecht zu werden. Sie sind die heimlichen Stars des Abends: Allein der Souveränität des Ensembles zu lauschen, lohnt das Kommen. Sein Debüt als Dirigent dieser Oper gibt an diesem Abend Nikolai Petersen, junger Kapellmeister der Frankfurter Oper, der souverän zwischen Bühne und Sängern vermittelt und über das nötige Know-how des Dirigierens dieser komplexen Partitur verfügt. Ein gelungener Einstand.

Trotzdem wirken Applaus und Zuspruch nach der Vorstellung etwas gehemmt, wenn man von einem übereifrigen Vorklatscher mal absieht, dessen unsensibles Reinjohlen unmittelbar nach den leisen Schlusstakten doch etwas deplatziert daherkommt.

Fazit: Bewegendes Musiktheater auf hohem Niveau mit minimalen Einschränkungen. Ob der Goldene Drache ins Repertoire eingehen wird, werden sicher weitere Inszenierungen zeigen. Es wäre wünschenswert.

Herbert Rolle