Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Omar Nasser

Aktuelle Aufführungen

Menschenknäuel

SKETCHES/NOTEBOOK
(Meg Stuart)

Besuch am
25. August 2016
(Premiere)

 

 

Ruhrtriennale, PACT Zollverein Essen

Was man der Choreografin Meg Stuart nicht absprechen kann, ist ihr kompromissloser Umgang mit Bewegungsabläufen, die in Zeiten hypersensibler Tanzästhetiken als banal abgetan werden könnten. Auch wenn die meisten Mitglieder ihrer Brüsseler Compagnie Damaged Goods auf Erfahrungen in internationalen Tanztheatern, teilweise auch dem Pina Bauschs, zurückgreifen können, gilt ihr die Spontanität des Augenblicks mehr als ausgefeilte Perfektion. Unter diesen Voraussetzungen ist ihr abendfüllendes Spektakel Sketches/Notebook zu verstehen, in dem unspektakuläre Bewegungsabläufe extrem breit ausgewalzt werden, wobei der Mangel an ästhetischer Tiefenschärfe nur gelegentlich durch emotionale Intensität aufgewogen werden kann. Vielleicht liegt es daran, dass die Gruppe mit dem Stück bereits um die halbe Welt gereist ist und dadurch doch schon einige Prisen an direkter Spannung und Frische eingebüßt hat. Im Rahmen der Ruhrtriennale nimmt das Werk im PACT Zollverein jetzt seinen zumindest vorläufigen Abschied von den Bühnen der Welt.

Zu sehen ist ein zweistündiger Tsunami klanglicher und optischer Eindrücke, bei dem die Choreografin ihre Vorliebe für interdisziplinäre Kreationen auf die Spitze treibt. Fünf Tänzer ihrer Truppe interagieren mit Schauspielern, Lichtdesignern, Musikern, Kostümbildnern und allem, was sich sonst auf oder hinter einer Bühne Platz tummeln kann.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der improvisatorische Impuls, mit dem vor drei Jahren gestartet wurde, ist auch nach etlichen Aufführungen noch nicht ganz erkaltet, so dass die Aufführung einiges von ihrer neugierigen, am Ende sogar übermütig verspielten Frische bewahren kann. Den ersten Eindruck bestimmt freilich eine totale Reizüberflutung. Die Sitzblöcke in der ehemaligen Waschkaue der Zeche sind im Raum verteilt, die von Vladimir Miller gestaltete Spielfläche durchzieht die gesamte Halle einschließlich einer gewaltig schrägen Rampe, auf der die Akteure in verschiedenen Tempi hochklettern, runterrutschen oder sich festzukrallen versuchen. Zu einer einzigen minimalistisch einförmig dröhnenden Tonschleife agieren die Darsteller zunächst mehrgleisig in rastloser Hektik. Ständig wird sich umgezogen, man agiert unter- und miteinander und bezieht auch das Publikum mit ein. Seile werden gespannt, Lichtreflexe huschen über Leinwände, das Publikum wird angesprochen, der Kostümfundus geplündert, es wird auf ein Schlagzeug eingeschlagen, Paare und Gruppen finden sich, um sich gleich wieder zu trennen.

Foto © Eva Würdinger

Ein halbstündiger Bewegungsrausch, der nur langsam abebbt und allmählich überschaubarere Formen annimmt. Die Monotonie der recht einfältigen Minimal-Klänge wird aufgefangen durch bizarre Lichteffekte und Bewegungsformationen, zu denen auch Solo-Einlagen von Stuart gehören, die aufgrund der androgynen Ausstrahlung der Tänzerin zu den stärksten Beiträgen des Abends zählen.

Beeindruckend auch einige Passagen der Stille, in denen sich die Tänzer zu amorphen Menschenknäueln verknoten, sich wie eine gallertartige Masse durch den Raum schieben und in ihrer unbequemen Lage auch noch die von Claudia Hill kreierten Kostüme wechseln. Höhepunkte, die freilich von allerlei Leerlauf relativiert werden. Um die Spannung pausenlos halten zu können, ist die Aufführung einfach zu lang. Zumindest aus der Perspektive des Zuschauers, der zwar Fäden halten, Murmeln zurückrollen oder sich von Spiegeln blenden lassen darf, aber letztlich passiver Zeuge einer Aktion bleibt, die vor allem den Zusammenhalt der Truppe stärken dürfte.

Nur wenige Zuschauer haben den Raum vorzeitig verlassen. Langanhaltender Beifall für ein letztlich doch außergewöhnliches Bühnenerlebnis.

Pedro Obiera