Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Sebastian Hoppe

Aktuelle Aufführungen

Was am Ende übrig bleibt

WERTHER!
(nach Johann Wolfgang von Goethe)

Besuch am
28. April 2016
(Premiere)

 

 

Junges Schauspielhaus Düsseldorf

Seit 1774 sind sie aktuell – und werden wohl niemals ihre Aktualität verlieren: Die Leiden des jungen Werthers. Ein Briefroman von Johann Wolfgang von Goethe, der kurzgefasst von der Liebe Werthers zu Lotte handelt, die mit Albert verlobt ist. Die scheinbare Aussichtslosigkeit dieser Liebe treibt Werther in den Suizid. Selbstredend, dass sich zwischen erstem Entzücken und verzweifelter Selbsttötung eine ganze Welt ausbreitet, die in ihrer Komplexität immer wieder Kreative aller Genres zur Auseinandersetzung bewegt hat.

Jetzt hat sich das Kreativteam Herrmann & Ladwig in Kooperation mit dem Jungen Schauspielhaus Düsseldorf dieses Themas angenommen. Aus vielen Deutungsmöglichkeiten hat sich Regisseur Stefan Herrmann unter konzeptioneller Mitarbeit von Hedda Ladwig entschieden, die antiquierte Sprache Goethes beizubehalten, aber eine neue Perspektive zu versuchen. Geleitet hat die beiden dabei die Frage, wie sich ein Wiedersehen von Lotte und Werther gestaltet hätte, wenn Werther gar nicht tot wäre. Um es vorwegzunehmen: Diese Perspektive ist beim Ausgang des Stücks so überflüssig wie ein Kropf und trägt eher zur Verwirrung als zu einem Diskurs bei.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Auf der Studiobühne des Jungen Schauspielhauses in der Münsterstraße, die anscheinend in einer Gemeinschaftsarbeit des Ensembles gestaltet wurde, ist zunächst nichts außer einer weißen Fläche zu sehen, die durch weiße Vorhänge an zwei Seiten begrenzt wird. Später wird sich erweisen, dass die Vorhänge eine Unmenge an Requisiten verbergen, und zwei fahrbare Kleiderstangen werden ins Spiel kommen, die in unterschiedlichen Funktionen eingesetzt werden. Die Kostüme von Lena Natt sind heutig-theatral, verabschieden sich vom „Outfit“, das Werther berühmt gemacht hat und einen wahren Modetrend nach sich zog, bieten aber keine echte Alternative. Es hat etwas von Kleinkind kramt in Muttis Kleiderschrank.

Philip Schlomm und Hanna Werth - Foto © Sebastian Hoppe

Ähnliches gilt für die Musik. Die wird an wenigen Stellen vom Band eingespielt. Das passt an genau diesen Stellen. Von einer gekonnten Einbindung von Musik ist die Aufführung allerdings weit entfernt.

Ebenso verhält es sich mit der Story. Herrmann gelingt es nicht, die Grundidee, dass Werther keinen Suizid begangen hat, sondern überraschend wieder im Leben von Lotte auftaucht und mit ihr Erinnerungen austauscht, auf die Bühne zu bringen. Hätte aber auch nicht viel gebracht, weil die Idee allenfalls dazu taugt, den Werther auf eine Stunde zu kürzen. Das Stück ist allerdings auf eine Teilnahme ab vierzehn Jahren beschränkt – und in diesem Alter darf oder muss man sogar den Theaterbesuchern auch durchaus eine längere Spieldauer zumuten können.

Denn schließlich sind auf der Studiobühne zwei ausgesprochen ambitionierte Schauspieler zu erleben. Hier glänzt vor allem Hanna Werth, von der man annehmen darf, dass sie gerade mal die Hälfte ihrer Möglichkeiten ausgespielt hat. Sie ist auch diejenige, die die inhaltlichen Akzente setzt, den Außenseiter der Gesellschaft immer wieder zur Ordnung rufen will. Es gibt ein Foto von ihr, auf dem zu sehen ist, wie Werther ihr seinen Namen auf den Brustkorb tätowiert. Das kennzeichnet sehr gut, was möglich gewesen wäre. Ihr gegenüber steht Philip Schlomm als Werther, der bei zugegebenermaßen einem Wust von Text mehrere Stolperer liefert und trotz überwältigender Lautstärke an einigen Stellen nicht die Tiefe, die Überzeugung bringt, die für den Weltverbesserer, den Romantiker, den Außenseiter nötig wäre.

Das Publikum sieht das anders und applaudiert nachhaltig. Trotzdem war es die schlechteste Produktion dieser Spielzeit – aber darüber möge sich jeder ein eigenes Bild machen.

Michael S. Zerban