Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Lebenslust für Fortgeschrittene

BORN A DIVA WORLD-TOUR
(Shanawaara)

Besuch am
11. Juni 2016
(Premiere)

 

 

Nach einem Abend mit der eher schweren Kost zweier Aufführungen lädt das Festival Projeto Brasil zu einem Konzert ein. Der Künstler ist schwer fassbar, das Thema der sexuellen Identitäten klingt eher anstrengend und dementsprechend kurz fasst sich die Kommunikation zu diesem Ereignis. Bei jedem Festival gibt es diese hidden champions, die von der Festival-Leitung gerne als Lückenfüller eingesetzt und vom Publikum viel zu wenig beachtet werden.

Im Foyer des Tanzhauses ist am Kopfende eine Bühne aufgebaut, im vorderen Drittel – was auch sonst – eine Caipirinha-Bar mit zwei dunkelhäutigen Schönheiten mit Blüten im Haar. Aber dann ist es auch schon fast vorbei mit dem Grusel des Abends.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Jetzt beginnt Brasilien. Und plötzlich merkst du, was dir die ganze Zeit gefehlt hat. Dieses verwaschene Portugiesisch, das so warmherzig, lässig und immer mit saudade – der Sehnsucht – herüberkommt. Du kannst ein Festival mit dem Schwerpunkt eines bestimmten Landes nicht ohne Sprache laufen lassen. Es wird nicht funktionieren. Auch nicht, wenn Tanz drübersteht. Sprache ist Identität.

Foto © privat

Selbst dann, wenn die Identitätssuche das Hauptthema ist. Shanawaara weiß möglicherweise selbst nicht so recht, wo seine Geschlechteridentität liegt, oder er kokettiert gerne damit. Die brünette Mähne wird auf der Stirn silberfarben gebändigt. Eine Jeans im Hot-Pants-Format und eine Bluse vervollständigen das Format der Frau. Der Schneuzer zerstört das Bild. Der Sänger fühlt sich als Diva. Und als Diva musst du mindestens eine Welt-Tour absolviert haben, sagt er. Dabei ist er in Düsseldorf angekommen. Im Foyer des Tanzhauses, in dem nur mehr ein spärliches Publikum von höchstens 50 Gästen übriggeblieben ist. Egal, auch das gehört zu einer Welt-Tour.

Shawanaara macht das, was er am besten kann. Er erzählt in mehr oder minder musikalischer Form Geschichten. Hiphop, Rap, Samba, Forró helfen. Geschichten über das Coming-out, das Gefühlsleben „verirrter Geschlechter“. Während er singt oder sagen wir besser vorträgt, laufen im Hintergrund auf einer Leinwand Videos, die einerseits ihn, andererseits die Texte auf Englisch zeigen.

Shawanaara ist der Mittelpunkt in den Videos. Auf der Bühne läuft eine ganz andere Show ab. Da steht er mit Luan Lucas Frenk und Manoela Rangel Galdeano. Luan konzentriert sich auf den Computer, der die Musik steuert, zu der Shawanaara singt, bringt zwischendurch gekonnte Tanzeinlagen, Manoela liefert die Hintergründe. Und da entsteht das, was Brasilien offensichtlich noch heute ausmacht: die unbedingte Zeigelust. Shanawaara springt ins Publikum und versucht sich dort an Samba-Tänzern, während Manoela mit großartigen und erotischen Tanzeinlagen auftrumpft. Viel zu kurz ist das gut einstündige Konzert, das Shanawaara mit den Worten verabschiedet: „Let’s have party now!“

Aus der ist leider mangels personeller Masse kaum was geworden. Aber: Der Ansatz stimmt. Und wenn das Festival noch zum Erfolg geraten soll, muss die Sprachlosigkeit beendet werden. Gelegenheiten gibt es noch genug.

Michael S. Zerban