Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Monika & Karl Forster

Aktuelle Aufführungen

Alptraum im Kinderzimmer

SALOME
(Richard Strauss)

Besuch am
24. September 2016
(Premiere)

 

 

Semperoper Dresden

Richard Strauss selbst nannte seine Oper Salome, die 1905 in Dresden uraufgeführt wurde, ein „Scherzo mit tödlichem Ausgang“. Musikalisch mag das noch auf die Neuinszenierung von Michael Schulz zutreffen, doch was den Zuschauern in spannenden 100 Minuten angeboten wird, ist ein in jeder Hinsicht radikales Drama, das sich kammerschauspielartig inszeniert und mit spektakulären Einfällen nicht geizt.  

Die Geschichte ist prägnant: Salome ist fasziniert von der körperlosen Stimme des Propheten Jochanaan, der im Schloss des Herodes eingekerkert ist, weil er die Maßlosigkeit der Herodias angeprangert hat. Salome, Tochter der Herodias und Stieftochter des Königs Herodes, ist aufgewachsen in Maß- und Hemmungslosigkeit und sucht Liebe, ohne zu wissen, was Liebe bedeutet. Liebe und Zuneigung hat sie nicht erfahren, und körperliche Liebe scheint ihr die notwendige Ersatzbefriedigung zu geben. Leidenschaftlich begehrt sie den unbekannten moralischen Propheten, seinen Leib, sein Haar, seine Lippen – den Mann, der sie brüsk zurückweist. Und am Ende verflucht. Ganz anders der menschlich schwache König Herodes mit seinen Ängsten, der bei ihr lustvolle Zerstreuung sucht. Gebunden an sein Versprechen, Salome für ihren Tanz einen Wunsch zu erfüllen, erhält sie von ihm den Kopf des Jochanaan, der sie nicht lieben wollte. In ekstatischem Wahn küsst sie seine Lippen, bevor Herodes am Schluss ihren Tod befiehlt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Während Oscar Wildes Salome 1896 erstmals in Paris die Bühne betrat, verbüßte ihr Schöpfer in einem Londoner Gefängnis eine Strafe wegen „grober Unsittlichkeit“. Cosima Wagner urteilte nach der Uraufführung von Richard Strauss’ Einakter, der Oscar Wildes Text in deutscher Übersetzung verwandte, an der Dresdner Hofoper 1905: „Nichtiger Unfug, vermählt mit Unzucht!“

Foto © Monika & Karl Forster

Innerhalb von zwei Jahren erschien Salome erfolgreich auf über 50 Opernbühnen. Ihr rauschhafter Orchesterklang, der einen gewaltigen Klangkörper verlangt, changiert zwischen feinnervigem Psychogramm und zügelloser Ekstase. Nie zuvor in der Geschichte der Oper ist die Verbindung von Dekadenz, seelischem Verfall und einer begehrenden wie zerstörerischen Liebe so opulent und eindringlich ausgedrückt worden wie in Strauss’ Meisterwerk.

Regisseur Michael Schulz lässt von der ersten Minute keinen Zweifel daran, wie er die Geschichte der Salome sieht. Ein junges Mädchen, maßlos verwöhnt, ohne Empathie, auf der Suche nach Gefühl, Geborgenheit. Es ist ein Blick in ein Kinderzimmer, ein Blick in einen Guckkasten. Große Spielzeugfiguren sind die Begleiter Salomes. Das alles erinnert stark an den Film Toy Story, in dem die Spielzeugfiguren zum Leben erwachen. Der überdimensionierte Teddybär ist Narraboth, der unsterblich in Salome verliebt ist und alles für sie tun würde. Nachdem er gegen seinen Willen Jochanaan aus dem Kerker hoch zu Salome geholt hat und bitter erkennen muss, das Salome nur Augen für den Propheten hat, bringt er sich um, indem er sein Fell aufreißt und das Stroh herausfällt. Der Page erscheint als großer Harlekin, die zwei Soldaten als Cowboy und Nussknacker. Das Bühnenbild von Dirk Becker konzentriert sich auf dieses Kinderzimmer, das auf der Bühne immer wieder nach hinten und vorne geschoben wird, je nachdem, welche Ebene der Beziehung angesprochen wird. Jochanaan erscheint von der Unterbühne, als Linksintellektueller mit modernem Tablet-PC an einem Tisch sitzend. Der Bühnenrand ist mit einer Videokollage umgeben, die den Lauf von Wolken und Mond in einer Nacht darstellt.

Die ganze Szenerie erscheint wie ein Kammerschauspiel. Im Mittelpunkt die Szene zwischen Jochanaan und Salome. Sie ist fasziniert von der starken Persönlichkeit dieses Mannes, und ihre kindliche Naivität verlangt nach einem intimen Kuss. Doch Jochanaan weist sie brüsk zurück und verflucht sie am Ende. Es ist sein Todesurteil, denn dieses Mädchen will seinen Willen bekommen, sei es um jeden Preis. Und so benutzt sie ihren Stiefvater Herodes, der von ihrer Schönheit fasziniert ist und lüstern um sie herumscharwenzelt. Von seiner Frau Herodias hat er sich längst abgewandt. Die wiederum, dem Alkohol verfallen, vergnügt sich mit jungen Liebhabern. Diese Beziehungsstränge stellt Schulz überdeutlich und akzentuiert dar. Salome luchst ihrem Stiefvater den Eid ab, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, wenn sie nur für ihn tanze. Der Tanz der sieben Schleier, der Höhepunkt einer jeden Salome-Inszenierung, wird hier kongenial gelöst. Für die ersten sechs Schleier gibt es eine eigene Tänzerin, die einen hocherotischen Striptease auf die Bühne zaubert und zum Schluss (fast) alle Hüllen fallen lässt, sicher sehr zur Freude des männlichen Publikums. Unter der burlesken Choreographie von Koko La Douce, die auch selbst mittanzt, gerät der Schleiertanz zu einem musikalischen und optischen Leckerbissen. Salome selbst ist die siebte Tänzerin, doch sie behält ihre Kleider an. Die Vortänzerinnen haben ausgereicht, Herodes so aufzugeilen, dass er ihr jeden Wunsch erfüllen will. Salome will in einer silbernen Schüssel den Kopf des Jochanaan.

Vergebens wehrt sich Herodes gegen diesen Wunsch. Er ist zu schwach, um Salome in ihre Schranken zu weisen. Und so erhält dieses eiskalte Mädchen ihr Begehr, der Kopf wird in einem Geschenkkarton auf die Bühne gebracht. Es ist der Geliebte der Herodias, der sich zum Henker aufgeschwungen hat und nun blutüberströmt in der Ecke sitzt.

Salome tritt gegen den Karton, ist wütend auf den Propheten, weil er sie zurückgewiesen hat. Dann öffnet sie den Karton, wickelt den Kopf aus dem blutigen Tuch, legt ihn auf das Kopfkissen ihres Kinderbettes und spricht zu ihm wie zu einer ihrer Spielzeugfiguren. Diese Szene verdeutlicht die gestörte Persönlichkeit der Salome, während Herodes sich in Frauenkleidern in eine ebenfalls gestörte Wahnwelt zurückzieht. Als er den Befehl gibt, Salome zu töten, ist es wieder der Liebhaber der Herodias, der zur Tat schreitet. Bevor er den Befehl ausführen kann, erlischt das Bühnenlicht, und die Vorstellung ist vorbei.

Regisseur Michael Schulz, Bühnenbildner Dirk Becker und Renée Listerdal mit durchaus ansprechenden Kostümen haben hier eine Deutungsversion angeboten, die es wert ist, diskutiert zu werden. Kaputte Familienstrukturen, Missbrauch, Gewalt, Gefühlsverarmung und psychosoziale Störungen nehmen in unserer Gesellschaft  immer mehr zu, so dass diese Adaptation der Salome an unsere heutigen Verhältnisse mit den Elementen eines kammerschauspielartigen Voyeurismus eine interessante Variante darstellt, gleichwohl der schwülstige Text mit seinen biblischen Bezügen dazu herzlich wenig passt.

Großartig die Sängerdarsteller und die Personenregie, vor allem Jennifer Holloway und Markus Marquardt. Jennifer Holloway gibt ein fulminantes Rollen- und Hausdebüt, sowohl sängerisch als auch schauspielerisch. Mit ihrer unverbrauchten Stimme und ihrem mädchenhaften Spiel verleiht sie der Salome eine besondere Aura. Sie wechselt problemlos die Register, spielt mit der Stimme, und ist auch in den dramatischen Höhen leuchtend klar. Einziges Manko ist die Durchschlagskraft ihres Soprans, der für die großen Orchesterszenen definitiv noch zu klein ist. Markus Marquardt verleiht dem Jochanaan große intellektuelle Würde, ist radikal im Ausdruck und singt wie immer sehr textverständlich. Lediglich bei den forcierten Höhen dieser Partie zeigt die tief gelagerte Bass-Bariton-Stimme Marquardts leichte Schwierigkeiten. Lance Ryan ist ein versierter Heldentenor, dem die Partie des Herodes sehr gut liegt und der mühelos und ausdrucksstark sowohl im Gesang als auch im Spiel reüssiert. Christa Mayer gibt die Herodias mit tiefem, ja manchmal keifendem Alt und stellt in drastischer Manier das Bild einer verhärmten, heruntergekommenen Diva dar.

Daniel Johansson singt die Partie des Narraboth mit angenehmem  jugendlich heldenhaftem Tenor, während er in seinem großen Teddybärenkostüm viel schwitzen muss und wenig Bewegungsfreiheit hat. Christine Bock im Harlekinkostüm überzeugt mit weichem Mezzosopran, während Georg Zeppenfeld als erster Nazarener schon als Luxusbesetzung für diese Rolle bezeichnet werden muss. Die Sänger der Juden überzeugen vor allem im Ensemble, und auch die anderen kleinen Rollen fügen sich solide ein.

Musikalisch schwelgt die Sächsische Staatskapelle Dresden in den opulenten Melodien, angetrieben von dem jungen Dirigenten Omer Meir Wellber. Er führt das Orchester mit dem richtigen Gespür für die Schönheiten, aber auch die Tücken der Straussschen Musik durch die Partitur. Er schwelgt in sphärischer Seligkeit, lässt es poltern und krachen, um dann die innigen Momente punktiert herauszuarbeiten. Er wechselt die Bögen zwischen großer symphonischer Tondichtung und kammermusikalischer Intimität. Allerdings ist er an den ganz großen Orchesterstellen zu laut, so dass die Sänger, vor allem Jennifer Holloway, fast zugedeckelt werden. Hier bedarf es sicher noch einer feineren Abstimmung.

Das Publikum nimmt diese Premiere insgesamt sehr positiv auf, es gibt großen Applaus für alle Beteiligte und Jubel für Jennifer Holloway. Vereinzelte Buhrufe für das Regieteam werden von Bravo-Gegenrufen übertönt. Dennoch ist es kein euphorischer Jubel, den man sonst in der Semperoper, vor allem bei Richard Strauss, gewohnt ist. Es ist eine diskussionswürdige Inszenierung, mit der die Semperoper die erste Premiere der neuen Spielzeit feiert.

Andreas H. Hölscher