Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thomas Jauk

Aktuelle Aufführungen

Sentimentaler Abgesang

SUNSET BOULEVARD
(Andrew Lloyd-Webber)

Besuch am
16. Oktober 2016
(Premiere am 8. Oktober 2016)

 

 

Oper Dortmund

Der Erfolg des Regisseurs Gil Mehmert mit Andrew Lloyd Webbers Jesus Christ Superstar am Dortmunder Theater vor zwei Jahren ist nicht vergessen. Mit dem erfahrenen Theatermann und dem publikumswirksamen Bestseller-Komponisten lassen sich garantiert Säle und Kassen füllen. Dem Dortmunder Theater sei es gegönnt, auch wenn im zweiten Anlauf mit der Adaption des brillanten Billy-Wilder-Klassikers Sunset Boulevard ein eher mittelmäßig inspiriertes Stück des Musical-Routiniers auf dem Programm steht. Dass die Inszenierung bereits 2011 im Rahmen der Bad Hersfelder Festspiele gezeigt wurde: Mit solchen Kooperationsverträgen kann und muss man mittlerweile leben. Gewöhnungsbedürftig ist noch die Praxis, das Produkt anschließend als Stage-Production auf Tournee zu schicken. Der Ensemblepflege unserer Opernhäuser steht eine solche Mehrfach-Verwertung von Bühnenproduktionen im Wege und sollte eine Ausnahme bleiben.

Das Ensemble wird ohnehin in den Hintergrund gerückt und darf vor allem die vielen kleineren Rollen übernehmen. Ohne Gaststars fiele der Eindruck noch matter aus. Wirkte im Jesus Christ Superstar der erstaunlich exzellent agierende Deutschland-sucht-den-Superstar-Gewinner Alexander Klaws als Publikumsmagnet, so steht im Mittelpunkt der neuen Produktion die erfahrene und charismatische Musical-Diseuse Pia Douwes, die neben ihren Erfolgen als Norma Desmond in Sunset Boulevard der Sissi-Schnulze Elisabeth zu Kassenrekorden verholfen hat.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Für die Rolle der desillusionierten alternden Stummfilm-Diva, die in ihrer Villa besseren Zeiten nachtrauert und den Anschluss an das moderne Hollywood verloren hat, bringt die gebürtige Niederländerin genügend Ausstrahlung, stimmlichen Glanz und darstellerische Wandlungsfähigkeit mit. Selbst die sentimentalen Entgleisungen Lloyd Webbers hält sie mit ihrer intensiven und gleichsam unprätentiösen Darstellung unter Kontrolle.

Foto © Thomas Jauk

Allerdings kann auch sie nicht verhindern, dass sich trotz der überwiegend vorzüglichen gesanglichen Leistungen nur ein blasser Gesamteindruck einstellt. Das hat tatsächlich nichts mit den Darstellern zu tun, sondern mit der zweifelhaften Umsetzung der Billy-Wilder-Vorlage durch Lloyd Webber, der Wilders pointiert bösartige Abrechnung mit der unmenschlichen Traumfabrik Hollywood in eine wehleidige Elegie auf den verblassten Glanz eines Stars banalisiert.

Regisseur Gil Mehmert tut wenig, um dieser Schwäche aufzuhelfen. Er erzählt brav die Handlung und verlässt sich auf die Wirkung des prominenten Gastes. Die Handlung in Kürze: Norma Desmond träumt davon, noch einmal vor die Kamera treten zu dürfen und findet in dem abgebrannten Tausendsassa und erfolglosen Schriftsteller Joe Gillis einen Kenner des Hollywood-Betriebs, der ihr ein Drehbuch und einen Neuanfang verspricht. Die Diva verliebt sich in den wesentlich jüngeren Mann und hält ihn aus, der freilich bereits andere geschäftliche und private Pläne mit der attraktiven Sekretärin eines Paramount-Produzenten, Betty Schaefer, verfolgt. Als Norma davon erfährt, erschießt sie Joe, bis zum Ende ihrem Traum vom Comeback nachhängend.

Es ist sicher nicht die Aufgabe eines Musicals, auch nicht die des Regisseurs, jede Nadelspitze des Films aufgreifen zu müssen. So harmlos wie Mehmert braucht man das Geschehen allerdings auch nicht wiederzugeben. Das beginnt bereits mit der Trauer um Normas verstorbenen Affen. Eine Szene mit viel Potenzial für makabre Effekte, die Mehmert ungenutzt lässt. Auch der geheimnisvolle Butler Max, der sich erst spät als ehemaliger Regisseur und Ehemann der Diva outet, bleibt mit seiner steifen Darstellung hinter den Möglichkeiten zurück.

Tempo kommt auf, wenn der Betrieb in den Paramount Studios angesagt ist. Auch eine Verfolgungsjagd sorgt für ein paar dramatische Momente. Doch viel mehr als Routine ist der Inszenierung nicht anzumerken.

Heike Meixner schuf dafür ein dunkles Bühnenbild mit der Aura einer vom Verfall bedrohten Villa, einschließlich verhängter Fenster und einer ausladenden Treppe, die Norma für ihre Auftritte ausgiebig nutzt. Ein einfaches Gerüst genügt, um dem Personal des Paramount-Studios Platz zu bieten. Zusammen mit Meixners Kostümen, die für den Star natürlich besonders üppig ausfallen, wird wenigstens das Auge nicht enttäuscht.

Das Ohr ebenso wenig. Denn für Dortmund wurde eine Orchesterfassung verwendet, die die Dortmunder Philharmoniker unter Leitung von Ingo Martin Stadtmüller voluminös umsetzen. Die Tanzszenen erhalten zusätzlichen klanglichen Druck, die lyrischen Gesänge wirken freilich noch sentimentaler. Den Mangel an Ohrwürmern und wirklich zündenden Melodien kann auch die orchestrale Aufblähung nicht verhindern.

Neben Pia Douwes gehört der agile Oliver Arno als Joe Gilles zu den Aktivposten. Ebenso Wietske van Tongeren als Betty. Hannes Brock bleibt als Kammerdiener Max freilich hinter seinen Möglichkeiten zurück. Ansonsten zeigt das Dortmunder Theater erneut eine beachtliche Ensembleleistung.

Das Publikum bedankt sich mit langanhaltendem Beifall.

Pedro Obiera