Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thilo Beu

Aktuelle Aufführungen

Che Guevara im falschen Stück

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)

Besuch am
25. September 2016
(Premiere)

 

 

Oper Bonn

Zugegeben: Puccinis Bohème ist anfällig für rührselige Entgleisungen. Eine Gefahr, der man allerdings mit ein wenig Handwerk und Fantasie mühelos aus dem Weg gehen kann. Zu einer denkbar schlechten Lösung hat sich Jens-Daniel Herzog für seine Neuinszenierung des Publikumsrenners an der Bonner Oper entschieden. Er rückt die Liebesgeschichte zwischen dem armen Poeten Rodolfo und der noch ärmeren Stickerin Mimi an den Rand der Handlung und überzieht sie mit einer pseudo-politischen Folie, die das Libretto nicht hergibt, dem spezifischen Kolorit der Musik widerspricht und das Stück seiner subtil erotischen Atmosphäre beraubt.

Das ist gar nicht so einfach, hat sich doch die Bohème im Laufe ihrer Erfolgsgeschichte als eine der strapazierfähigsten Opern des gängigen Repertoires erwiesen, die etlichen szenischen Firlefanz überstehen kann, wenn es wenigstens um die musikalische Qualität einigermaßen gut bestellt ist. Herzog, Intendant der Dortmunder Oper, unterzieht das Werk geradezu einem Elchtest mit problematischem Ausgang, der selbst diesem unverwüstlichen Reißer zu schaffen macht.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Herzog inszeniert das Stück aus der Perspektive des gealterten Rodolfo, der wie ein grauer Greis über die Bühne schleicht. Der wird Zeuge einer nur beiläufig inszenierten Romanze mit etlichen logischen Brüchen und wenig Atmosphäre, weil den Regisseur die politischen Ambitionen der abgerissenen Künstlercrew viel mehr interessieren. Die jungen Leute lässt Herzog zu 1968-er-Protestlern mutieren, die mit Che-Guevara-Plakaten hantieren, die die billige Pommes-Bude des Café Momus im zweiten Akt besetzen, die Kasse plündern und Musetta wie eine Libertà auf dem Dach posieren lassen, bevor sie von der Gendarmerie zusammengeknüppelt werden. Vor der toten Mimi am Ende flüchten sie alle kopflos, bis auf den erschütterten Greis. Völlig unpassende, ablenkende und in die Irre führende Zutaten. Es wäre sinnvoller, den albernen Studentenulk im ersten und letzten Akt origineller und hintergründiger zu inszenieren. Letztlich geht es um ein Stück, bei dem der Tod brutal in eine jugendliche Welt einbricht, die die Zukunft noch vor sich haben sollte.

Foto © Thilo Beu

Somit lässt Herzog alles ungenutzt, was das dramaturgisch genial ausgefeilte Libretto an bühnenwirksamen Raffinessen zu bieten hat. Die schüchterne Anbahnung der Liebesbeziehung, die bei Herzog schnell, spannungslos und banal im Bett landet, wobei Mimi bereits mit der Absicht bei Rodolfo anklopft, ihn verführen zu wollen. Besonders ärgerlich, wie der erschütternde Stimmungswechsel im Final-Akt ins Leere geführt wird, wenn in die übermütige Studentenschar die todkranke Mimi einbricht. Das hat Puccini minutiös auskomponiert, verfehlt aber jede Wirkung, wenn das vom Tod gezeichnete Mädchen während des ganzen Akts über die Bühne wandelt. Es ist gerade bei Puccini nicht von Nachteil, wenn man dessen Instinkt für optimale Bühnenwirksamkeit ein wenig vertraut. Das Ergebnis muss ja nicht in Montmartre-Kitsch entgleiten.

So trist und letztlich banal präsentiert sich auch die Ausstattung von Mathis Neidhart. Ein riesiger, aschgrauer Bühnenraum als Dachkammer, die Wurstbude als Café mit erstaunlich hochnäsigen Kellnern, die Schänke an der Grenze als billiges Strip-Lokal.

Musikalisch kann die Bonner Produktion die vielen Mängel nur begrenzt ausgleichen. Am besten noch Sumi Hwang als Mimi, die mit ihrer tragfähigen, leicht geführten Stimme alles mitbringt, was ein differenziertes und sensibles Rollenportrait verlangt, aber szenisch nicht eingefordert wird. Und Giorgios Kanaris kann die aufgebachte Eifersucht des Marcello mit seinem mächtigen, makellos geführten Bariton überzeugend zum Ausdruck bringen. Marie Heeschen als äußerst attraktive Musetta gestaltet ihre Rolle sehr kapriziös und mit stimmlicher Mühelosigkeit. Ordentlich der Rest der Besetzung mit Ivan Krutikov als Schaunard und Martin Tzonev als Colline. Den Schwachpunkt bildet ausgerechnet der Rodolfo von Felipe Rojas Velozo, der mit seinem engen Tenor die Töne eher herauspresst als formt.

Und Jacques Lacombe am Pult des Beethoven-Orchesters vermag auch keine Impulse zu setzen, die unter die Haut gehen. Brav, zeitweise langweilig, wenn auch untadelig, ist kaum mehr als eine Routineleistung zu erleben. Viel zu wenig für eine Gefühlsbombe wie die Bohème.

So mischen sich denn etliche Buh-Rufe in den ansonsten begeisterten Beifall des Premierenpublikums im lückenhaft besetzten Parkett. Leider auch denkbar unhöflich unmittelbar nach dem zarten Schlussakkord.

Pedro Obiera