Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Volker Beushausen

Aktuelle Aufführungen

Klangmagie vom Feinsten

CARRÉ
(Karlheinz Stockhausen)

Besuch am
18. August 2016
(Premiere)

 

 

Ruhrtriennale, Jahrhunderthalle Bochum

Vor neun Jahren ist er gestorben. In seinen letzten Lebensjahren hat sich Karlheinz Stockhausen zunehmend in kosmischen Sphären verloren und den Kontakt zum Publikum auf eine harte Probe gestellt. Als junger Mann hat er sich mit harten Bandagen zu einem der einflussreichsten Vertreter der Avantgarde geboxt. Zum Leidwesen von Persönlichkeiten wie Herbert Eimert oder Bernd Alois Zimmermann. Bequem ist Stockhausen nie gewesen. Eins konnte man ihm jedoch nie vorwerfen: Mangel an Genialität und Sendungsbewusstsein.

In mindestens 20 seiner aufwändigsten Werke rückte Karlheinz Stockhausen den Hörer ins Zentrum bewegter „Klangskulpturen“. Drei herausragende Beispiele aus verschiedenen Schaffensperioden stehen auf dem Programm eines beeindruckenden Konzerts in der vollbesetzten Bochumer Jahrhunderthalle. „Seid umschlungen …“ Das Motto der Ruhrtriennale lässt sich trefflich auf die Klangwogen übertragen, die die überaus konzentrierten Besucher umkreisen. Dass Stockhausen mit seiner Ästhetik eher kosmische Wahrnehmungen vermitteln wollte als Freiheitsbotschaften, dürfte dem heutigen Hörer keine Probleme bereiten. Die Pionierarbeit, die Stockhausen auf dem Gebiet der elektronischen Musik und des Raumklangs geleistet hat, fasziniert noch heute, auch und gerade wenn man seine Musik unter klangästhetischen Aspekte einsaugt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der dreistündige und dennoch keineswegs langatmige Abend startet mit einem „Klassiker“, Stockhausens experimentierfreudiger elektronischer Realisation Gesang der Jünglinge aus dem Jahre 1956. Hier begnügte er sich zwar noch mit vier Tonspuren, die sich durch den Raum bewegen, doch die klanglichen Ergebnisse haben nichts von ihrer farbigen Frische verloren.

Foto © Volker Beushausen

Vier Jahre später übertrug er in Carré sein Konzept auf reale Klänge, für die nichts weniger als vier Orchester und vier Chöre nebst vier Dirigenten benötigt werden. Räumliche Bedingungen, die die Jahrhunderthalle ideal erfüllen kann. Die Stockhausen-erprobten Bochumer Symphoniker und das nicht weniger versierte ChorWerk Ruhr postieren sich auf vier Podien und spielen das halbstündige Werk gleich zwei Mal, wobei die Hörer Gelegenheit haben, die Plätze zu wechseln. Bewundernswert, dass man den Interpretationen die immensen Koordinationsschwierigkeiten zwischen den vier räumlich weit getrennten Gruppen nicht anhört. Dafür sorgen an den Dirigentenpulten Rupert Huber, Florian Helgath, Matilda Hofman und Michael Alber, die nicht nur den bizarren Klangkosmos des Werks kristallklar zum Klingen bringen, sondern auch die Reize des Raumklangs spürbar werden lassen.

Den Abend beschließt eine rein elektronische Arbeit aus Stockhausens Todesjahr 2007. Von altersreifer Abgeklärtheit ist in den Cosmic Pulses des 79-jährigen Meisters nichts zu spüren. Ein dichtes Gewebe aus jeweils 24 melodischen Schichten, Tempi und Klangregistern übt in seiner brodelnden, fast aggressiven Rastlosigkeit einen Sog aus, der den Hörern eine halbe Stunde lang kaum Raum zum Atemholen lässt. Eine Herausforderung, die nicht jeder bis zum Ende aushält. Gleichwohl ein faszinierendes Erlebnis, wenn man sich vorbehaltlos dem Klanggespinst überlässt.

Kein Wunder, dass der Beifall nach dem langen Abend und dem anstrengenden Schlussstück etwas matter ausfällt als nach den Glanzleistungen der Carré-Interpreten. Ein Abend, der der Bedeutung Stockhausens in vollem Umfang gerecht wird. Schade, dass die Aufführungen seiner Werke mit so großem Aufwand verbunden sind, dass man sie im Konzertalltag nur selten erleben darf.

Pedro Obiera