Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © E. Moreno Esquibel

Aktuelle Aufführungen

Statik regiert

LUCREZIA BORGIA
(Gaetano Donizetti)

Besuch am
25. Oktober 2016
(Premiere am 22. Oktober 2016)

 

Associacion de Amigos de la opera,
Bilbao ABAO Palacio Euskalduna

Bilbao, die Hauptstadt des Baskenlandes, hat wie keine andere Stadt in den letzten Jahren eine Transformation erlebt. Mit dem Bau des Guggenheim-Museums hat sich die heruntergewirtschaftete Industriestadt zu einer Kulturmetropole ersten Ranges katapultiert und immenses Geld in seine neue Gestaltung mit Hilfe berühmter Architekten investiert. Der Besucher ist erschlagen von den verschiedenen futuristischen Bauten und der insgesamt sehr geschmackvollen Neuordnung des baskischen Wirtschaftszentrums. Auch die Musik soll ihren Stellenwert haben, und so wurde ein Opernhaus im neuerrichteten Kongresszentrum integriert. Der Opernbetrieb wird über den ortsansässigen Verein der Opernfreunde professionell im Stagione-Betrieb organisiert. Dabei wird eng mit verschiedenen Opernhäusern insbesondere in Norditalien zusammengearbeitet – so auch in dieser Neuproduktion von Lucretia Borgia mit Turin, Bergamo und Sassari.

Italienisch ist das Team um Regisseur Francesco Belluto, das eine traditionell historische, realistische Interpretation ohne Spektakel oder Provokation kreiert hat. Bühnenbildner Angelo Sala entwarf eine mittelalterlich aussehende Backsteinwand, die geschickt an alle möglichen Orte angepasst werden kann, vom Innenhof bis zum Herrschaftssaal. Kräftige Farbtupfer im sonst dunklen Ambiente schafft Kostümbildnerin Cristina Aceti mit bunten Hofdamen und Maskierten sowie Kardinälen und Nonnen im kräftig roten Talar. Die nötigen Stimmungen erzeugt Fabio Rossi mit seiner Lichtregie.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

In der Personenführung von Belluto regiert die Statik, der Chor marschiert geordnet auf und ab, die Protagonisten spielen zusammen, ohne wirklich Spannung zu erzeugen, und stehen zumeist im Vordergrund. Tolpatschig wirkt der tänzerisch geführte Auftritt einer Handvoll Soldaten, die schleichend mit ihren Speeren spielen.

Foto © E. Moreno Esquibel

Im Orchestergraben hält der junge Spanier Jose Miguel Perez Sierra das Euskadiko Orkestra Sinfonikoa, das baskische Symphonieorchester, gebändigt. Sehr besonnen, nahezu verhalten klingt es im Orchestergraben. Das Tempo ist frisch, und der Schwung ist bewegt nach vorne gerichtet. Es fehlt aber die Leichtigkeit und gefühlvolle Kolorierung. 

Elena Mosuc ist eine gefragte Sängerin und tritt mit ihrem vielseitigen Sopran in einem breiten Repertoire auf. Sie meistert die anspruchsvolle Titelrolle, die Spitzentöne sitzen fest ohne Schärfe, und sie gestaltet auch die Tiefe dunkel und verräterisch. Dazwischen fehlt aber die Flexibilität und in der Koloratur die Genauigkeit und Elastizität. Die Rolle ihres als Kind versteckten und wieder aufgetauchten Sohnes Gennaro hat der von den Kanaren stammende Celso Albelo übernommen, der an diesem Abend in bester Form erscheint. Kraftvoll, ja stürmisch, singt er sich in die Herzen des Publikums und seiner Mutter. Frisch, weit geöffnet gleitet sein Tenor, und ohne großen Druck kann er auch Volumen erzeugen.

Mysteriös und misstrauisch bringt Marko Mimica seinen Don Alfonso d'Este. Schwer und ehrfurchtsvoll, aber auch aggressiv kann sein leicht dunkel gefärbter tiefgesetzter Bariton stimmen. Eindrucksvoll und überzeugend ist Teresa Iervolino in der Hosenrolle des Maffio Orsini. In ihrem Auftritt steckt eine gehörige Portion Männlichkeit, und sie fügt sich bestens in den Freundeskreis um Gennaro ein. Einfühlsam und bewegend das Bekenntnis der geplagten Mutter am Ende des Abends, den das elegante Publikum mit viel Anerkenntnis belohnt.

Auch die Oper und klassische Musik haben ihren Stellenwert in der Kulturstadt Bilbao fest eingenommen. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die Spanier gut daran tun, italienische Eigenarten in der Inszenierung klaglos zu übernehmen.

Helmut Pitsch