Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Baus

Aktuelle Aufführungen

Wie Szenen einer echten Ehe

ORFEO ED EURIDICE
(Christoph Willibald Gluck)

Besuch am
18. März 2016
(Premiere)

 

 

Staatsoper Berlin

Zum Auftakt der 20. Festtage an der Staatsoper Berlin hat sich Daniel Barenboim, Musikdirektor und Gründer dieses Zyklus, diese selten gespielte und doch musikgeschichtlich wichtige Oper gewünscht. Zusammen mit Regisseur Jürgen Flimm wurde eine Spitzenbesetzung engagiert, um die griechische Sage Orfeo ed Euridice in neuem Gewand zu präsentieren.

Die vor über 250 Jahren komponierte Oper gilt als Granitstein der Operngeschichte, als „Reformoper“ schlechthin. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Librettisten Ranieri de’ Calzabigi enstand damals ein Werk, das die Natürlichkeit der Bewegungen, einen einfachen Stil, allzu menschliche Emotionen aufzeigten und ein absolutes Novum waren. Gluck war schon 48 Jahre alt, als er Orfeo komponierte und sich partout weg von der spätbarocken Affektenlehre bewegen wollte. Seine Musik sollte nah am Text sein und auch eine komponierte Natur aufweisen. Das Werk war anfänglich ein Misserfolg, weil zu revolutionär. Dank der schon immer sehr beliebten Arie Che farò senza Euridice blieb das Werk dann doch im gängigen Opernrepertoire bestehen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Jürgen Flimm versteht das Geschehen als abstraktes, psychologisches Spiel. Im ersten monumentalen Trauerbild befindet sich die elegant schwarz gekleidete und verschleierte Trauergesellschaft in einem großen Krematorium – komplett mit lodernden Flammen. Orfeo gibt seiner Trauer freien Lauf, klammert sich verzweifelt an das üppige Hochzeitskleid seiner verstorbenen Euridice. Ein androgyner Amor erbarmt sich seiner und erlaubt ihm, sie in der Unterwelt zu suchen.

Foto © Matthias Baus

Deuten die vielen Verkehrsmarkierungen auf dem Boden den Weg in die Unterwelt, oder den Weg durch dessen Labyrinth? Jedenfalls schafft es Orfeo vorbei an den wilden Schergen ins buntgewürfelte Elysium.

Euridice findet er in einer Einzelzelle, pardon, einem trostlosen Einzelzimmer, als ob sie auf ihn wartete.  Hier finden die Streitgespräche, echte Szenen einer Ehe zwischen Orfeo und Euridice statt. Ein Eheberater hätte seine Freude an der Analyse. Die zentrale Frage des Nicht-Anschauen-Dürfens interpretiert der Regisseur eher als sexuelle Enthaltung. Die seelische Konstitution der Figuren ist ins Zentrum gestellt. Euridice ist selbstbewusst und äußert lautstark ihre eigenen Meinungen. Ein Leben eben ohne körperliche Liebe sei nicht lebenswert. Das hält Orfeo nicht aus und muss sich letztendlich nach ihr umsehen.  Nun stirbt die Geliebte ein zweites Mal. Amor als Deus ex machina erlaubt dann doch den Sieg der Liebe über den Tod, und das wird am Ende von einer ganzen Schar von tanzenden Hochzeitspaaren gefeiert.

Was für kunstpolitische Gründe hinter der kryptischen Bezeichnung im Besetzungszettel „Bühnenbild in Kooperation mit Gehry Partners“ stecken, erfährt man nicht.  Jedenfalls ist zu hoffen, dass Stararchitekt Frank O. Gehry sich doch selber mit den abstrakten Bühnenbildern für seine Visionen von Erde, Unterwelt und Elysium befasst hat. Florence von Gerkan ist es gelungen, Kostüme einer zeitlosen Eleganz, eine Mischung zwischen „New Look“ von Dior und Grace Kelly zu zaubern.

Der Countertenor Bejun Mehta „besitzt“ zurzeit die Rolle des Orfeo wie kein anderer Sänger. Da er fast die gesamte Zeit auf der Bühne ist, gelingt es ihm stimmlich wie dramatisch, einen großen Spannungsbogen durchzuhalten. Für Anna Prohaska hingegen ist die Euridice ein Rollendebüt – wenn man von einer Aufführung an der Musikhochschule absieht. Ihr klarer Sopran zeugt von großen Gefühlsmomenten, die sich nicht in einem emotionalen Korsett befinden. Auch für Nadine Sierra ist es das erste Mal als Amor, ein Götterbote der nach dem Rechten schaut und immer wieder die Gefüge der Sterblichen lenkt. Die junge Sopranistin im smarten Männerkostüm überzeugt in jeder Hinsicht.

Ebenso ist dieses Werk für Daniel Barenboim eine Premiere. Mit der besteingestimmten Staatskapelle klingt sein Gluck klar und kammermusikalisch. Es glänzen die solistischen Einlagen. Es wird die Wiener Urfassung von 1762 gespielt, allerdings mit Einbezug eines Teiles der späteren Pariser Fassung so, dass der gesamte Abend nur knappe 90 Minuten ohne Pause dauert.

Das Publikum feiert das gesamte Ensemble, besonders Bejun Mehta. Wie so oft bei Werken ohne Pause, steht das Publikum danach etwas verloren herum, möchte sich austauschen und wird doch eigentlich aus dem Haus gescheucht.

Zenaida des Aubris