Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Maximilian Grosser

Aktuelle Aufführungen

Experiment gescheitert

MUSIC AS EMOTION
(Trond Reinholdtsen)

Besuch am
10. Juni 2016
(Premiere)

 

 

Opera Lab Berlin im Acker Stadt Palast

Wenn eine Experimentierbühne eine Show als Music as Emotion ankündigt, dann erwartet der Zuschauer mindestens eine Komponente – entweder Music oder Emotion.  Im besten Fall beides. Leider erfüllt dieses Stück die Erwartungen weder an das eine noch das andere.

Es soll ein Kongress stattfinden zum Thema „Taugt Musik noch als Sprache der Emotionen?“.  Zuschauern wird ein Namensschild ausgestellt, und sie werden in Sprecher oder Teilnehmer eingeteilt. Im u-förmigen Theaterraum sitzen dann die Sprecher an Tischen, die Teilnehmer dahinter. „Musiker, Komponist, Regieteam und Publikum sind aufgerufen, sich mit den Mitteln ihrer Wahl an diesem Diskurs zu beteiligen“, steht im Programmheft.  Doch eine Interaktion mit dem Publikum bleibt aus. Zwar kommen die Darsteller und Musiker in unmittelbarer Nähe der Zuschauer, einschließlich nackter Körperteile, die einem ins Gesicht gehalten werden, aber das wird hoffentlich nicht als Interaktion bewertet.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das Regieteam mit Georg Schütky, Lea Søvsø und Vincent Stefan als Verantwortliche für Inszenierung, Bühne und Kostüme, wie auch der Komponist Trond Reinholdtsen haben den Anspruch, mit diesem Stück die Frage zu beantworten, ob die „holde Kunst“ Musik ausdrücken kann, was man nicht zu sagen vermag, aber unmittelbar empfindet. Sie haben sich die Mittel des Absurden Theaters zu eigen gemacht, die eine Sinnentfremdung der Worte und Handlung und den darin orientierungslosen Menschen darstellen. Dazu gehört auch die freie Wortassoziation, die hier im ersten Teil eingesetzt wird und als „Forschungsquiz zu Studienzwecken“ betitelt wird.  Es gibt kein richtig oder falsch. Begriffe wie „Freude“, „Ekel“, „Begeisterung“ werden orgiastisch hinausgeschleudert. Die einzige Interaktion mit dem Publikum findet beim Austeilen von vier bunten Pillen in einem weißen Plastikbecher statt, die die Zuschauer auf Befehl essen sollen, um an der Emotionsfindung von „Zorn“, „Trauer“ oder etwa „Angst“ mitzuwirken.  „Langeweile“ ist zwar nicht genannt, würde aber dazu passen.

Foto © Maximilian Grosser

Sechs Musiker – Violine, Cello, Gitarre, Klarinette, Akkordeon und Klavier – benutzen ihre Instrumente, um die von Reinholdtsen gestellte Frage zu beantworten: Taugt Musik noch als „Sprache der Emotion“ oder ist die Technik der Emotionalisierung fester Teil eines neoliberalen Produktionsprozesses geworden, in dem Emotion als endlos konsumierbare Ware und als Ressource zur Leistungssteigerung dient. Ist Musik also bloß ein Rad im Getriebe, mit dem die Maschine weiterläuft? Sind Musiker Sklaven dieser Funktionalität? Die Musiker werden von vier Performance-Künstlern bei ihrer Suche wortgewandt unterstützt. Die Antwort bleibt bei dem Pasticcio aus Eigenkompositionen und Zitaten anderer Kompositionen – etwa Tristan und Isoldes Liebestod – offen.

Das leicht verstörte Publikum – von hysterisch lachend bis verwundert oder verärgert – wird zuletzt aus dem Saal gescheucht, der kleinen Prozession der Darsteller hinterher, die dann auch noch die Unterlagen des „Kongresses“ in einer Schale im Freien verbrennt. Was hat der ältere Conférencier gesagt, bevor er die Bühne verließ: „Experiment gescheitert“.

Opera Lab Berlin ist ein Ensemble mit dem erklärten Ziel, zeitgenössische Musik in Verbindung mit allen darstellenden Künsten zu vereinen. Es soll hier gefiltert, gekocht, destilliert, zersetzt und kristallisiert werden, solange, bis etwas Neues entsteht.  Das ist alles sehr löblich, nur sollte vielleicht das nächste Rezept gehaltvollere Zutaten bereithalten.

Zenaida des Aubris